///

Von den Grenzen im Kopf der Grenzländer

Gastkommentar von Univ.-Prof. Reinhard Heinisch

Wessen Geistes Kind die Forderung der Freiheitlichen Jugend in Kärnten ist, die “Slowenisierung Kärntens zu stoppen”, und welche historische Unbedarftheit sie anzeigt, erweist sich vor allem darin, dass sich schon der Name Kärnten vom slawischen Fürstentum Karantanien ableitet.

Karantanien gab es bereits im 6. Jahrhundert und es war dieses Fürstentum, das dann fast 200 Jahre später das Herzogtum Baiern um Hilfe gegen die Awaren bat, woraufhin erst deutschsprachige Siedler einströmten und sich in Teilen Kärntens niederließen. In Anerkennung des slowenischen Ursprungs des Landes wurde der Amtseid der Kärntner Herzöge auf dem Fürstenstein bis 1414 in slowenischer Sprache geleistet, so viel zu Slowenisierung Kärntens.

Von Verfolgung zur Diskriminierung auf Amtswegen

Bei der Volkszählung von 1846 gaben von den 318.000 Einwohnern Kärntens 95.544 die slowenische Sprache als ihre Muttersprache an (rund 30 Prozent der Gesamtbevölkerung). Laut Volkszählung 1910 hatte Kärnten rund 396.000 Einwohner, 20,7 Prozent mit Slowenisch als Umgangssprache. Bis 2001 war die Zahl formal auf knapp 2 Prozent gesunken. Die Anzahl der Kärntner mit slowenischen Wurzeln ist natürlich bedeutend höher, wie man den typisch Kärntner Familienamen (zB. auf”-ig”/ “-ik”) unschwer erkennen kann. Dazwischen lagen Zwangsdeportationen, Internierung, Verfolgung durch das NS-Regime und Ermordung in Konzentrationslagern wie Ravensbrück, Assimilierung und administrative Diskriminierung. 

Slowenische Vornamen waren bis in die 1970er Jahre de facto verboten, Familiennamen wurden eingedeutscht, der Schulunterricht in der zweiten Landessprache war mit Hürden verbunden, Ortstafelsturm und Ortstafelstreit sind Legende und auch außerhalb Kärntens bekannt und das Versprechen beim Staatsvertrag einer slowenischen zweiten Amts- und Landesprache samt zweisprachiger Ortstafeln blieb blanker Hohn. Die slowenische Intelligenz wanderte aufgrund mangelnder Berufs- und Aufstiegschancen oft nach Wien oder in die weite Welt aus, der Rest blieb in der strukturschwachen ländlichen Tristesse zurück, verhaftet in einem der vielen slowenischen Dialekte, in einer Sprache ohne Anerkennung.

Die schlechten Slowenen

In Kärnten hält sich bis heute der vom deutschnationalen Historiker Martin Wutte 1927 konstruierte und später von den Nazis propagierte Mythos der Windischen, d.h. der quasi “guten” Slowenen, die den deutschen Kärntnern kulturell und politisch näher stehen als die anderen “schlechten” Slowenen, die auf ihrer Sprache und Kultur beharren.

Um sicherzustellen, dass keine Minderheitenpartei in den Landtag einziehen konnte, gab es in Kärnten besondere Hürden in der Wahlordnung für den Einzug in den Landtag, während beispielsweise in Schleswig-Holstein die dänische Minderheit automatisch einen Sitz im dortigen Landesparlament hat, war an so etwas in Kärnten nicht zu denken. Durch die Aufteilung des Siedlungsgebietes der Kärntner Slowenen auf alle vier Kärntner Wahlkreise, obwohl diese im Süden konzentriert sind, und die Forderung, dass eine Partei in mindestens einem dieser Bezirke ein Grundmandat erreichen muss, war es für die Minderheit de facto unmöglich, eine eigene politische Partei und Vertretung zu erzielen – natürlich hätten die Wahlbezirksgrenzen auch anders gezogen werden können. Die Slowenen blieben Bittsteller und waren von den Gnaden der Landespolitik abhängig, wobei vor der FPÖ bereits die SPÖ jahrzehntelang rechts blinkte.

Grenzlandempfindsamkeit

Gleichzeitig hielt auch nach der NS-Zeit die intellektuelle Abwehr gegen den “Feind im eigenen Land” an, und so stilisierte sich Kärnten zum “Grenzland”. Nun grenzen ja alle österreichischen Bundesländer außer Wien an andere Staaten und haben somit Grenzen, nur Kärnten grenzt an eine Bevölkerung, die es auch im eigenen Land hat, die Slowenen.

Dennoch empfinden sich viele dieser deutschsprachigen Kärntner als "Grenzlandbewohner", Grenze zu was eigentlich? Zu den bergsteigenden, ebenso singenden, alpinen, katholischen Slowenen, die sich in Brauchtum und kulinarischen Vorlieben sowie teilweise in ihrer dialektalen Sprache fern der jeweiligen Hochsprache  herzlich wenig von ihren deutschsprachigen Nachbarn unterscheiden? 

Das Grenzlandempfinden vieler Leute ist natürlich eine Grenze im Kopf, und obwohl das Slowenische in Kärnten wegen seines fortschreitenden Verschwindens nun vollends zur Folklore wird, hetzt die FPÖ Jugend gegen die verblieben Reste der Minderheit und deren legitime Rechte und warnt ihre geschichtlich unbedarfte und teilweise ewig gestrige Klientel vor den Gefahren der Slowenisierung.


Reinhard Heinisch ist Universitätsprofessor für Österreichische Politik in vergleichender europäischer Perspektive und leitet den Fachbereich Politikwissenschaft und Soziologie an der Paris Lodron Universität Salzburg. Diesen Kommentar hat Heinisch ursprünglich auf Facebook veröffentlicht, NOVI GLAS gewährte er die weitere Publikation. Gegenüber NG meint Heinisch, er empfinde den Umgang mit der slowenischen Minderheit als eine durch nichts zu entschuldigende Schande für Österreich und ein Versagen des Rechtsstaates und der Demokratie. Heinisch war übrigens am 13. Februar Gast in der ZiB2 und gab seine Einschätzungen zu den vermeintlich chinesischen Spionageballons ab. Das Titelbild stammt von Konstantin Vlasich/NG und entstand bei dieser Reportage.


Weitere NOVI GLAS-Artikel zum Thema

Dreisprachiger Kommentar zur “Slowenisierung”
Ortstafelšturm
Als Österreich noch slawisch war
Junger Aktivismus zur Reinstallation von Ortstafeln
Minderheitenrechte im Staatsvertrag

Piši komentar

Your email address will not be published.