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50 Jahre nach dem Ortstafelsturm – Einige unfreundliche Worte

Kärnten/Koroška: eins-zwei-keinsprachige Tragikkomödie

Es werden die Demos wohl nirgends so juristisch geführt wie in Koroška. Man kann sich von einer Minderheit, die sich in den letzten beiden Generationen wider dem Ghettoisierungsversuch Kärntens durch das Sammeln aller slowenischen Sekundarstufler:innen, von Landarbeiter:innen (romantisch, bis die Alltagsrealität der Bauern:Bäurinnen einschlägt) zu mehrheitlich Lehrer:innen und Anwält:innen entwickelt hat, auch nichts anderes erwarten.

Alle paar Sonnenkönigstage hallt der Ruf „Člen 7 – Naša pravica“ durch die Dr.-Wutte-Straße (Windischentheorie), über die Dr.-Franz-Palla-Gasse (Zwangsabtreibungen und -sterilisationen in der NS-Zeit) und bis zur Kranzmayerstraße (Wissenschaftliche Forschung mit dem Ziel des „Rückdeutschungsprozesses“ (sic!) des „Oberkrainer Slowenentums“, Autor des Werkes Die wichtigsten Kärntner Ortsnamen).

Trotz der demonstrierten geschichtlichen Affinität der Stadt Celovec in der Benennung ihrer Topografie, bleibt in dieser Anrufung nach der Umsetzung eines Staatsvertragsartikels von 1955(!) noch immer die Forderung nach der lang-versprochenen, länger-ersehnten, ewig-umčenčten umfassenden zweisprachigen Beschilderung des historische Minderheitengebietes miteingeschlossen.

Einführung in ein historisches Debakel

Der Artikel 7 umreißt in 5 Punkten basale Grundrechte der kroatischen und slowenischen Minderheit. Obwohl bei allen Punkten das Land Österreich und die Bundesländer gern die Augen zukneifen, bis die Details schwammig werden und ins Ablagefach „Passt schon“ verschlampt werden, ist und bleibt das Sorgenkind die Nummer 3. Die Nummer 3 beschreibt das Recht auf die Amtssprache und topographische Aufschriften in den Minderheitensprachen. Nummer 3 ist ziemlich anstrengend, weil sie recht territorial ist, ziemlich sichtbar und darum schwer wegzudiskutieren. Was der österreichischen Bürokratie gemäß zu einer nun über 50 Jahre andauernden Diskussion führte.

1977 wurde die Durchführungsverordnung erlassen, welche die Bestimmungen des Volksgruppengesetzes (VGG) von 1976 anwendbar machen sollten. Doch das Problem des 1976 VGG war, dass es eine 25-Prozent-Klausel festlegte. Das bedeutete, dass 25 Prozent der Bevölkerung eines Ortes zur slowenischen Volksgruppe zählen musste. In Koroška, ein Bundesland, das geschichtlich die Zugehörigkeit zu einer Sprachgruppe politisierte – im Krieg als Deportationsgrund, nach dem Krieg als Maß einer „deutsch-kärntnerischen Gesinnung“, kann dies als schlaue Retraumatisierungstaktik gewertet werden.

Kärntner Wetter

Es sind die 1970er und Bruno Kreisky will seine Freund:innen (Drug:arice) in Jugoslawien nicht enttäuschen. 1972 entschließen sich die Roten (SPÖ) also zu einem Alleingang und das Ortstafelgesetz wird am 6.7.1972 mit einer Mehrheit von 3 Stimmen entgegen den Wünschen der ÖVP und FPÖ angenommen. Es sollen 205 zweisprachige Ortstafel aufgestellt werden (20 Prozent Marke gemäß der Volkszählung von 1961).

Am 20.9.1972 bricht der Sturm los. Deutschnationale beschmieren die zweisprachigen Tafeln, gegen die Landesregierung und gegen die slowenische Haushaltungsschule St. Ruprecht ergehen Bombendrohungen. Am 10.10.1972 steht keine zweisprachige Ortstafel mehr. Zivilpersonen ziehen in Autokolonnen und mit Schaufeln bewaffnet durch die Dörfer und beschädigen österreichisches Staatsgut. Oftmals unter Polizeischutz.

Aktivist:innen aus der Minderheit versuchen die Ortstafeln zu schützen. Es kommt zu Demonstrationen und Schmieraktionen. Zwei Jugendliche versuchen im Vorfeld des 10. Oktobers (Tag der Inszenierung des Abwehrkampfnarrativs) eine Kärntner Fahne zu verbrennen und werden inhaftiert.

Landeshauptmann Sima fürchtet um Leib und Leben, der Kärntner Heimatdienst (KHD) fordert eine Aussetzung des Ortstafelgesetztes, Bomben fallen in Südkärnten. Der KHD startet ein Volksbegehren mit dem Ziel, die Minderheitenstärke festzustellen. 82.000 Personen unterschreiben. Kreisky besucht eine Konferenz in der Klagenfurter Arbeiterkammer und wird antisemitisch beschimpft. Am darauffolgenden Tag werden Sima und seine Frau in Velikovec mit Eiern und Tomaten beworfen. Erst als die SPÖ es unterlässt, die abgerissenen Ortstafeln erneut aufzustellen, wird das Kärntner Gemüt wieder sonnig.

Kreisky setzt eine „Ortstafelkomission“ ein, zu der er die Slowen:innenvertreter:innen einlädt und den KHD, um über die Minderheitenrechte zu verhandeln. Die Slowen:innen weigern sich, sich mit dem KHD den Tisch zu teilen. 1974 wird Leopold Wagner, der ehemalige, hochgradige (oder hochrangige?) Hitlerjunge, Kärntner Landeshauptmann und das Volksgruppengesetzt mit Minderheitenschutz wird ausgenommen wie eine Martinigans.

Der ehemalige Universitätsprofessor Peter Gstettner qualifiziert den Ortstafelsturm als Terroraktion gegen die Minderheit und die Staatsorgane. Es gab laut Gsettner mindestens 24 offizielle Zeug:inneneinvernahme im Kontext des Ortstafelsturms. Nach einem Jahr wurden alle Verfahren eingestellt und keine:r der Ortstafelstürmer:innen musste irgendwelche Konsequenzen tragen. [1] Der Ortstafelsturm stellt das Retraumatisierungsereignis der Ersten und Zweiten Generation der Koroški:e Sloven:ke dar.

Vater, unser! oder Ortstafel-immer-noch-Sturm

Mit der thematisch eingeschränkten Gründung eines antislowenischen Kärntner Hooliganismus 1972 schien es nicht getan zu sein. Die Wolken rissen auf und von ihnen stieg herab Kärntens Sonnenkönig. Jörg Haider – Robin Hood, Wild-West-Sherriff, die kärntnerische Princess Di – war von 1989 bis 1991 als auch von 1999 bis zu seinem Tode Landeshauptmann von (und zu) Kärnten. Als Politiker des Dritten Lagers (Sommercamp der traditionell deutschnationalen, deutschfreiheitlichen und nationalliberalen Wähler:innenschaft) trieb er in ethnischen Fragen die Polarisierung an die Spitze. Gemäß seiner gewählten Kostümierungen, verließ er selbstbewusst immer wieder den Rahmen des Rechtsstaates ( „Die Sprüche des Verfassungsgerichtshofes akzeptieren wir nicht, da das Volk es so will.“ ), denunzierte Akteur:innen der Minderheitenpolitik, kriminalisierte und ethnisierte, wie es ihm nun einmal so in den Sinn kam. Feindbilduno. Die bösen, slowenischen Extrem:istinnen mit ihren überzogenen Ansprüchen waren eines seiner liebsten Ziele. Vor den slawischen Aggressor:innen musste die tugendhafte Kärntner Bevölkerung geschützt werden. Keine Sorge, der Papa macht das schon!

Außerhalb des gelb-rot-schwarzen Dunstnebels, der aus Gurk, Gail und Glan zu steigen scheint, um die Sinne zu verwehen, entschied sich im Jahre 2001 der Verfassungsgerichtshof, diese Klausel als verfassungswidrig aufzuheben. 2006 folgte eine neue Topographieverordnung für Koroška, welche sich nebulöserweise wieder nicht auf die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes bezieht, da nicht alle Ortschaften mit rund 10 Prozent slowenischer Bevölkerung berücksichtigt werden.

Der Beschluss des Verfassungsgerichtshofes war dem Landeshauptmann von Anfang an ein Dorn im Auge, drum wurde Haider kreativ. 2005 wies er den Wunsch nach Ortstafeln in rund 150 weiteren Ortschaften mit über 10 Prozent an slowenischer Bevölkerung mit dem Hinweis auf die „Interessen der Mehrheit“ zurück. Im gleichen Jahr entschied der VfGH, dass in Pliberk und Drveša vas zweisprachige Ortstafeln aufgestellt werden sollen. Haider rief sich eine Medienhorde zusammen und versetzte am 8.2.2006 die betreffenden Ortstafeln einige Meter, um den Entscheid obsolet zu machen. Die „Ortstafelverrückung“ begründete er damit, dass der VfGH seine Kompetenzen überschritten habe. Der VfGH erklärte auch dieses Verhalten als verfassungswidrig, Haider parierte, er wolle dann eben gar keine Ortstafeln in diese Ortschaften setzen.

2006 ging Haiders Medienkampagne in die zweite Runde: Mit allen Merkmalen des Rituellen, begann Haider die zweisprachigen Ortstafeln in einsprachige umzuwandeln. Das Volksgruppengesetz sollte durch die Zugabe kleiner slowenischer Zusatztäfelchen erfüllt werden. Grund dafür: Zweisprachige Ortstafeln seien einfach zu „überfüllt“ und „verwirrend“ für den Kärntner Landsmann. Einsatz VfGH: „VERFASSUNGSWIDRIG!“

Im Laufe dieser politisch-gesetzlichen Saga wird die Anzahl der Ortstafeln von über 800 (historisch slowenische Orte), auf 205 (16 Gemeinden) und 1976 unter Wagner auf 91 reduziert. Bis 2002 stellt das Land Kärnten von diesen Ortstafeln 73 auf. Im Jahre 2011 wurde nach mehreren Verhandlungsrunden in einem Memorandum festgelegt, dass 164 Ortstafeln in 24 Gemeinden aufgestellt werden sollten. Hierzu abschließend einige Worte aus dem Memorandum der Initiative SKUP: „Die derzeitige Regelung hat keinerlei Systematik und ist nicht nachvollziehbar.“

Dankbar, dienstbar und hörig

Im Sumpf der Minderheitenpolitik Verirrte fragen sich nun vielleicht: „Was?“ oder „Warum?“ , gerne auch „…“. Postverbales ist eine verständliche Reaktion. So nach: Warum? Warum sind die Ortstafeln so ein wichtiges Thema für die slowenische Minderheit? Die traumatischen Erfahrungen, welche die Minderheit in der NS-Zeit, als slowenische Familie deportiert und getötet, die Sprache verboten und kriminalisiert wurde, aber auch vor und nach dem Krieg in Form von Diskriminierung und Repression gemacht hat, sind durch akute und transgenerational weitergegebene Traumata immer noch präsent. Die Weigerung der Aufstellung zweisprachiger Ortstafeln ist eine Weigerung der Anerkennung der slowenischen Sprache als gleichwertig. Das Slowenische wird aus dem öffentlichen Raum verbannt und in die Privatheit abgeschoben. Angesichts der prekären Lage der Sprache, welche durch den jahrzehntelangen politischen und gesellschaftlichen Assimilierungsdruck am Rande der Selbstauflösung steht, kann dies nur als weitere unterlassene Förderungsmaßnahme und Repressalie gewertet werden. Dennoch scheint bei vielen Mitgliedern der Mehrheitsgesellschaft das Gefühl vorzuherrschen, dass die (Koroški:e Sloven:ke) doch „endlich a Rueh geben soll´n. Nit imma mehr, mehr, mehr. Seits doch dankbar! Überhaupt jetzt, wo endlich a guetes Klima im Lond is.“ Die Koroški:e Sloven:ke treten demnach als Bittsteller:innen auf, welche bei der herrschenden Gruppe gierig mehr und mehr verlangen. Klingt für die Steuerzahler:innen und durch ihren Widerstand die österreichische 2. Republik ermöglichenden Koroški:e Sloven:ke recht suspekt.

Denn Grundrechte lassen sich diesem Denken gemäß nur allzu leicht absprechen, aber Himmel helfe dem Kellner, der verkünden muss, dass jetzt Sperrstunde ist…Mi se mamo radi und so fort.

Letztlich bleibt 50 Jahre nach dem Ortstafelsturm, 80 Jahre nach der Deportation von 917 Koroški:e Sloven:ke, lediglich zu fragen: Hudič, kdaj se pa bo te svete table končno postavilo?


[1] Vgl. GSTETTNER, Peter (2004). Der Ortstafelsturm – eine Bewegung gegen Gesetz und Ordnung. In: PANDEL, Martin / POLZER, Miroslav / POLZER-SRIENZ, Mirjam / VOSPERNIK, Reginald (HG). Ortstafelkonflikt in Kärnten – Krise oder Chance. Wien: Braunmüller Verlag. S. 267 – 270.


Erschienen in NG1/2022.
Illustration & Text: Ana Grilc

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