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Volksgruppentag: “Nice-to-have kauft keiner”

Der Tag der Volksgruppen im Parlament. Foto: Zinner

Zum zweiten Mal hat es einen Tag der Volksgruppen im Österreichischen Parlament gegeben. Aber war es mehr als ein Feel-Good-Event? Während junge Menschen Reformen vermissen, macht die Regierung keine klaren Ansagen. Tematski je škola najveć bila adresirana. Jedino adresat kritike se nije pokazao.

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Wer früh am sogenannten Tag der Volksgruppen im Plenarsaal des Parlaments aufkreuzt, wird zwar nicht mit einem Frühstück überrascht, aber zumindest mit Interview-Gelegenheiten. Das Ö1-Mittagsjournal hat eine Redakteurin vorbeigeschickt. Tanja Malle, eine Kärntner Slowenin, hat drei Minuten für ihren Beitrag in der wohl bedeutendsten hörbaren Nachrichtensendung des Landes. Wie oft die Volksgruppen in dieser Sendung vorkommen? Wir können nur mutmaßen, jährlich klingt schon nach viel. Ins Mikrofon erzähle ich ihr, dass es nicht danach aussieht, dass der Staat Österreich es schafft, die Sprachen seiner  Volksgruppen zu erhalten.

Noch zeitiger als das Interview gab es vor den Toren des Parlaments eine geschickte Inszenierung. 500 Schüler:innen der Komensky-Schule, jener Schule in Wien, die, privat finanziert, tschechischen und slowakischen Unterricht anbietet, singen die eigene Schulhymne. Ein wichtiger Ansprechpartner für die Schule wird am heutigen Tag nicht im Parlament erscheinen. Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) ziehe die Nobelpreisverleihung in Schweden vor, mutmaßt ein Teilnehmer des Tages. 

Die Vorbereitungen im Parlament auf diesen VG-Tag dürften aber gut geplant gewesen sein. Man habe  in 20 Tagen 20 Wörter der Minderheitensprachen im Parlament gezeigt. Auf Instagram finden sich dazu kurze Videoclips, etwa von Burgtheater Direktor Martin Kušej oder dem Stelzenkaiser Karl Kolarik — der Inhaber des Schweizerhauses im Prater hat tschechische Wurzeln. Wolfang Sobotka (ÖVP), umstrittenster Nationalratspräsident seit Christi meiner Geburt, sagt den Volksgruppen bei seinen Grußworten im Parlament: „Fühlen Sie sich zuhause.“ Na gut. Aber die Füße legt keiner auf den Tisch. Co-Host und Bundesratspräsidentin Claudia Arpa (SPÖ) aus Kärnten/Koroška dankt, dass wir daran arbeiten, dass Österreich ein vielfältiges Land sei. Jetzt traut sich erst keiner die Füße auf den Tisch zu legen.

Es steht viel am Programm des Tages. Ob man ein bisschen zu sehr aufgeblasen hat, möge dieser Text beantworten.

Singender Schulprotest des Komensky-Schulvereins. Foto: Parlament/Zinner

Flaute im Minderheitenschutz 

Die von Professorin Emma Lantscher vorgetragene Keynote ist weniger als eine motivierende Rede zu verstehen, sondern als eine Lesung über die neuesten Monitoringergebnisse der Charta der Regional- und Minderheitensprachen. Auch Österreich hat diese ratifiziert, eine Kommission untersucht die Entwicklungen im Minderheitenschutz alle Jahre wieder. „Minderheitenschutz in Europa stagniert, wenn es nicht sogar Rückschritte gibt,“ so Lantscher, die sonst an der Grazer Uni lehrt. Heute ausnahmsweise am Hohen Haus in Wien, wo nicht nur sie fast im Schulischen verharrt. Lantscher nennt als Beispiel, dass  Minderheitensprachen als Wahlfach zu Lasten anderer Fremdsprachen aufgegeben würden. Für Slowenisch gebe es hingegen erfreuliche Neuigkeiten, da es im Volksschulbereich etwa gleich hohe Anmeldezahlen für Slowenischunterricht auch außerhalb des autochthonen Siedlungsgebiets gebe. Daraus schließt Lantscher, dass der Bedarf an Volksgruppensprachenunterricht auch etwa in Wien und anderen urbanen Zentren erhoben werden solle. 

Auf Lantscher folgen Basbaritenori mit dem Lied, das Willi Resetarits und seine Mama österreichweit bekannt gemacht hat. Zum Musikprogramm insgesamt kann man sagen, dass das Parlament ein feines Händchen bewiesen hat — lipo je to (!) čuti. Gitarrist Diknu Schneeberger soliert sich eins in seinem gypsy Trio runter. Selten hört man im Parlament solch bezaubernde Töne. Basbaritenori bringen später sogar noch Marice Igrališće ins Hohe Haus — eine unerwartete Premiere. Wolfgang Sobotka, ehemals Musiklehrer, schaut dabei auf die Uhr „Marica, reci mi ti, koliko je uri!“ und wir „Jungen“ nutzen die Energie von Marica als Motivation für unser Panel.

Diknu Schneeberger an der Gitarre und ein Infomonitor an der Wand. Foto: Zinner/OeParl

Die Rauchzeichen der Panels

Der politische Vormittag ist in Panels zerhackert. Zeremonienmeisterin ist Katja Gasser, K-Slo Journalistin und Buchmessenkoriphäe, und heute als Moderatorin engagiert. Als erstes Panel wurden die Stammesältesten der Volksgruppenbeiräte angehört. Und einige davon sind gar nicht mal so schlecht drauf. Karl Hanzl, Obmann des tschechisch-slowakischen Komensky-Schul-Vereins zückt eine alte, grüne Mini-Tafel und rügt das Unterrichtsministerium: „Von den Tafeln in 1872 bis zu den heutigen Tablets haben wir uns alles alleine gekauft.“ Der Adressat dieser Beschwerde, der Bildungsminister, ist nicht im Hohen Hause zugegen. Attila Somogyi, der zum Scherzen neigende Vorsitzende des Beirats für die ungarische Volksgruppe, überreicht an Sektionschefin des Bildungsministeriums und an Susanne Raab (ÖVP), für Volksgruppen zuständige Ministerin, einen offenen Brief mit Forderungen der ungarischen Seite. Moderatorin Gasser attestiert den Beiräten einen Hang zum Aktionismus. Der Verteter der kroatischen Volksgruppe, Martin Ivancsics, meint, das Territorialprinzip hätte seinen Sinn verspielt und Indianertum schade den Minderheiten. Teile des Auditoriums wissen nicht, was sie von diesen unachtsam gewählten Vergleichen halten sollen. Das Wording ist in die Jahre gekommen…und die Message rückt dadurch in den Hintergrund.

Im nächsten Panel sitzt Ministerin Susanne Raab, die meinte, für sie war der Zuständigkeitsbereich Volksgruppen anfangs neu und sie hätte sich eingearbeitet. Raab verwies auf die eben beschlossene Bund-Länder-Vereinbarung, bei der bis zu 25 Prozent der Mittel für VG-Themen reserviert seien (das klingt nach einer Folge-Recherche). Während sich Bildungsminister Polaschek in Schweden beim Nobelpreis zum Gratulieren einreiht, ist Platz für eine ernst gemeinte Ansage von Sektionschefin Margareta Scheuringer aus dem Bildungsministerium: „Wir schaffen es jetzt, Zeugnisse zweisprachig auszudrucken.“

Sprachwissenschafterin Brigitta Busch, Ministerin Susanne Raab und Moderatorin Katja Gasser

Zeit für die “Jugend”. Nach zwei Dialogforen für Volksgruppen im Parlament (2022 und 2023) ist es das erste Mal, dass bei einer solchen parlamentarischen Runde junge Menschen die Möglichkeit bekommen, sich irgendwie mitzuteilen. Thomas Kassl, u.a. in der Parlamentsdirektion für Corporate Identity zuständig, hat dieses Zukunftspanel organisiert. Lina Verdel, eine Kärntner Slowenin, die in der digitalen Kommunikation beim öffentlich-rechtlichen Radiosender Ö3 arbeitet, meint, dass man mehr Social Media-Content in den Minderheitensprachen brauche. Moonshot-Pirates-CEO Marko Londa erzählt von der bereichernden Vielfalt in der Start-Up-Szene und wie man mit Mehrsprachigkeit auch wirtschaftlich punkten könne. Volksgruppenbelange hätten sich seiner Ansicht nach ein besseres Marketing verdient: „Ein Produkt, das nur “nice-to-have” ist, kauft keiner.“

Ich fordere in einem meiner Statements die Politiker:innen aller Coleurs auf, Mut zu haben, Reformen in der Volksgruppenpolitik anzustreben und das verkrustete System der Volksgruppenbeiräte abzuändern (eine Reform des VG-Gesetzes stand im schwarz-grünen Regierungsprogramm). Dazu wähle ich ein drastisches Wording: „Wenn Österreich in 100 Jahren einsprachig ist, sind Sie daran schuld.“ Überraschenderweise ernte ich ordentlich Applaus. Jour-Kollege Mario Czory, ein in Kärnten aufgewachsener und beim ORF im Burgenland arbeitender Rom und wohl die Person mit dem makellosesten Outfit des Tages, wünscht sich, dass mehr Volksgruppenangehörige in den Institutionen des Staates und der Länder tätig sind. Dann wären die Volksgruppenanliegen nachvollziehbarer auf offizieller Seite, auf Augenhöhe. Der Jüngste am Podium, István Zsótér, der als Schüler sowohl der ungarischen als auch kroatischen Volksgruppe angehört, wünscht sich jüngere Gesichter in den Volksgruppenbeiräten. Es seien seit Jahren dieselben. Und wenn er auf mancher Website eines Volksgruppenvereins landet, fragt er sich, wo und in welchem Jahrhundert er da gelandet sei.

Istvan Zsoter und der Autor dieser Zeilen im Panel 3. Foto: OeParl/Zinner

Den Bereichssprecher:innen der Parlamentsparteien erlaube ich ihren Absatz. Volksgruppen-Veteran Niki Berlakovich (ÖVP) lobt, dass es gelungen sei, den Begriff Volksgruppen anstelle jenes Begriffes der Minderheiten zu etablieren. Er sagt auch, dass es einen Novi duh in der Volksgruppenpolitik bräuchte — ohne dabei wirklich konkret zu werden. Olga Voglauer (Grüne), Bereichssprecherin im koalitionären Schicksalsverband, sprang auf meine Mut-Rede auf und plädierte dafür, ohne Furcht in die nächsten Debatten zu treten. Da, wo Widerspruch sei, da könne auch viel Innovation gelingen. Anders sieht das der mittlerweile arrivierte VG-Kenner Michael Bernhard (NEOS) und meint, man stoße bei Volksgruppenthemen in allen Fraktionen auf Widerstand. Er übt sich auch als einziger Visionär unter den Politiker:innen und verweist auf ein „Mutszenario“ aus dem Baskenland, wo es 60.000 Menschen gebe, die sich zum Baskensein bekennen, aber insgesamt seien es 750.000, die die Sprache in der Region aufgrund förderlicher Bedingungen gelernt hätten. Harald Troch (SPÖ) erzählt von der tschechischen Familie in Wien, der er entstammt und die als Folge des 2. Weltkriegs die Sprache abgelegt habe. Er verwies darauf, dass in allen drei Bundesländern, wo Volksgruppen beheimatet seien, die SPÖ in der Landesregierung säße. Ob er sich auch angesehen hat, wie genau diese Länder die Volksgruppen unterstützen, wäre eine schöne Folgefrage. Die FPÖ-Vertreterin Isabella Theuermann hat es geschafft, die österreichischen Volksgruppen in ihrer Rede nicht zu erwähnen. Sobotka schaut auf die Uhr. Mittagessen.

In der fancy Säulenhalle des Parlaments geistert die Zahl von 300 Teilnehmer:innen umher. Schüler:innen aus Kärnten, aus dem Burgenland, aus Wien stehen für Essen an. Abseits der bekannten Gesichter aus dem Volksgruppen-Business ist es nicht wahnsinnig stark oder divers besucht. Vorbeihuschende NR-Abgeordnete fragen, was man hier heute mache. Beim Essen erzählen Teilnehmer:innen einander, wie sie um welche Ecke von der Anmeldung für diesen Tag erfahren haben. In der ersten Tageshälfte kann man Studierende an zwei Händen abzählen. Zwischen Gemüsecurry und Kaiserschmarrn sucht die grüne Landtagsabgeordnete Regina Petrik aus dem Burgenland in der Säulenhalle noch nach weiteren burgenländischen Mandatar:innen für einen Abänderungsantrag, wonach es mehr Formulare in den Sprachen der Volksgruppen geben solle. Einen Tag nach dem VG-Tag in Wien wird dieser Antrag im burgenländischen Landtag abgelehnt — die SPÖ im Burgenland und ihre Mandatarin Elisabeth Trummer aus Šuševo bezeichnen den von Grünen und der ÖVP eingebrachten Antrag als Symbolpolitik.

Zurück nach Wien. Es wird getanzt und gesungen. Für entsprechende Bilder rate ich, die Volksgruppensendungen des ORF aufzudrehen oder sich durch die 99 schönen Fotos auf der Parlamentshomepage zu klicken. Der politische Part am Volksgruppentag ist scheinbar vorbei. Die Symbolpolitik hält an.


Symbolfoto Symbolpolitik?
Još kratko za viditi u parlamentu: izložba o kodifikaciji jezika Romanes

Nachsatz: 30 Jahre kodifiziertes Romanes in Österreich

Nach schulischen Tanz- und Musikeinlagen gibt es noch ein vermeintlich unerwartetes Highlight am VG-Tag. Das Parlament zeigt eine Ausstellung zum Österreichischen Romanes, die an diesem Nachmittag unter eindrucksstarker musikalischer Begleitung von Ivana Ferencova samt Chor präsentiert wird. Sie, die Ausstellung, ist bis 20. Dezember weiterhin im Parlament zu besichtigen, ehe sie auf Reisen geht. Die visuelle Gestaltung hat übrigens eine burgenländische Kroatin, Linda Schneider, übernommen – auch auf romani-project.org zu sehen. Wir schließen trotz allem bedenklich: Derzeit gebe es nur drei Pädagog:innen und zwei Mediator:innen, die Romanes unterrichten, so die Lehrerin Rabie Perić bei der Präsentation. Vielleicht sollten wir uns statt zum Fremdsprachenunterricht für Romanesunterricht eintragen.

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