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Die Spanische Grippe, Cannabis und ein Haufen Slawen im Parlament

Am Titelbild: Nationalratsabgeordnete Bernhard, Berlakovich und Voglauer.

Es ist der erste kalte Tag im November und am Programm der etwa 40 Mitglieder der “Arbeitsgruppe Slawischer Minderheiten” steht ein Austausch mit Parlamentarier:innen. Die Arbeitsgruppe ist Teil der europäischen Minderheiten-Dachorganisation FUEN und sie weilt für einen dreitägigen Aufenthalt in Wien. Der Austausch im Parlament – so die Vermutung der NG-Redaktion – könnte zeigen, wie die Sterne für Volksgruppenthemen in den nächsten Monaten stehen. Während es vom FPÖ-Bereichssprecher keine Antwort betreffend seiner Sitzungsteilnahme gab , haben sich VG-Sprecher:innen der NEOS, der ÖVP und der Grünen – deren Club zum Treffen geladen hat – angekündigt.

Joži Buranits, Vizepräsident des Kroatischen Kulturvereins HKD und Teil der FUEN-Arbeitsgruppe, dirigiert im voll besetzten Raum im Ausweichparlament im Burggarten die Gespräche. Als erster Parlamentarier gibt Niki Berlakovich (ÖVP) – übrigens einer der am längsten dienenden Parteipolitiker mit Volksgruppenagenda – ein Statement ab. Berlakovich möchte laut eigener Aussage kein Eigenlob betreiben, aber die Vorhaben der türkis-grünen Regierung im Volksgruppenbereich seien sehr umfangreich. Er verweist auf die Verdoppelung der Volksgruppengelder und dass auch die neue Medienförderung bei den Volksgruppen ankommen solle. Als gemeinsame koalitionäre Triebfeder sieht Berlakovich die abnehmende Sprachkompetenz, aber nicht weil es einen politischen Assimilierungsdruck gebe, sondern weil irgendwie die jüngere Generation zu sprechen aufhöre.

Diese Äußerung ist ein ganz gut aufgelegter Freistoß für den jetzigen NEOS-Bereichssprecher Michael Bernhard, der Berlakovich widerspricht und sagt, dass es eine sehr starke Assimilierung direkt und indirekt durch die politische Ansicht gegeben habe, dass die österreichische Kultur auf der deutschsprachigen fuße. Für NEOS sei zentral, dass die Mehrheitssprache und die Sprache der autochthonen Volksgruppen gemeinsam die österreichische Identität ergeben.

Mit Angelika Mlinar – die Kärntner Slowenin sitzt der FUEN-Arbeitsgruppe slawischer Minderheiten vor – ist eine weitere ehemalige Nationalratsabgeordnete und ehemalige NEOS-Bereichssprecherin im Raum, die den Assimilationsball noch einmal köpfelt. Die Kärnter Slowen:innen hätten vor 100 Jahren einen Bevölkerungsanteil von 30 Prozent in Kärnten gehabt, heute seien es vier Prozent. Mlinar setzt fort: “Und ich darf Ihnen sagen, wir hatten nicht die spanische Grippe.”

Nationalratsabgeordnete Olga Voglauer (Grüne) und Vorsitzende der FUEN-Arbeitsgruppe Angelika Mlinar (sie war zuvor u.a. NEOS-Abgeordnete)

Ausstehende Ombudsschaft

Angestoßen durch Bernhards Aussagen, dass freiwillige Vereine nicht alle Aufgaben der Vertretung der Volksgruppen erfüllen könnten und eine demokratisch gewählte Vertretung der Volksgruppen eingerichtet werden solle, verlagert sich der weitere Austausch im Parlament zu Möglichkeiten demokratischer Teilhabe.

Während Berlakovich (ÖVP) den Arbeitsgruppenmitgliedern aus 13 Ländern erklärt, wie die VolksgruppenbeiräteBerlakovich war bei ihrer “Schaffung” beteiligt und ihre Kurien funktionieren, sieht Olga Voglauer – die Grün-Politkerin ist aufgrund der laufenden Nationalratssitzung später eingetrudelt – an den sechs Beiratsgremien, dass diese keine Ressourcen zur Verfügung hätten, Stellungnahmen bei Gesetzesvorhaben abzuliefern. Zur Erklärung: Die Volksgruppenbeiräte sind demokratisch nicht in diese Funktion gewählt, sondern ernannt und haben auch kein juristisches Personal, das politische Entscheidungsträger beraten könnte. Zitat Mlinar: “Die Beiratsgeschichte ist something nice to have, aber sie funktioniert nicht. Dass da [in Kärnten] jemand von der FPÖ drin sitzt, spricht doch Bände.”

Voglauer fragt in den Raum – “wer ist Ombudsmann für österreichische Volksgruppen?” – und erhält eine deutsche Antwort, wie das bei den Sorb:innen in der Lausitz umgesetzt sei. Dort seien in der Kreisverwaltungin Österreich wäre das die Bezirksebene Vollzeit-angestellte Beamt:innen anzutreffen, deren Job es sei, die Minderheitenrechte umzusetzen. Zudem finanziere das Land Brandenburg eine Wahl, bei der die sorbischen Dachverbände repräsentativ den Sorbenrat wählen, der wiederum in Ausschüssen des Brandenburger Landtags Stellungnahmen abgeben könne und das Recht habe, im Plenum des Landtags zu sprechen. Der Sorbenrat habe auch einen eigenen Referenten für diese Angelegenheiten. Für Rückfragen bekommt NG eine deutsch-sorbische Visitenkarte des Landes (!) Brandenburg zugesteckt.

Meto Nowak ist Sorb:innen-Referent beim Land Brandenburg

Während Voglauer (Grüne) anmerkt, dass es fürs Umsetzen des deutschen Modells einen Schulterschluss im Parlament bräuchte, kontert Mlinar (FUEN, Ex-NEOS), dass es in der Bundesregierung Vertreter brauche, die eine demokratisch legitimierte Vertretung der Volksgruppen durchsetzen. Das sei ein Gesetz, das man nicht neu erfinden müsse, sondern man könne sich an den Sorb:innen orientieren, so Mlinar. Verfassungskonform sei das übrigens auch und so verweist Mlinar auf eine langjährige Erkenntnis des Rates der Kärntner Slowenen: “Das würde uns [Volksgruppen] ermöglichen aufzuatmen, sich zu organisieren, wie es in demokratischen, europäischen Gesellschaften üblich ist.” Eine Sorbin wirft ein: “So teuer ist das nicht.”

Alle im grünen Bereich?

Bevor dieses Gesprächsformat zu Ende geht und die Parlamentarier losmüssen, um in Nationalrat abzustimmen, meldet sich eine Russin aus Estland zu Wort. Laut der aufgestellten Kärtchen seien die Politiker alle bei den Grünen – ein Versehen des grünen Clubs? – und in Estland würden die Grünen nur die Legalisierung von Marihuana vorantreiben. Warum die Minderheiten bei den Grünen auf der Agenda stünden, fragt die Russin. Voglauer – einzig bei ihr stimmt das Kärtchen – antwortet: “We don’t just want to legalize cannabis, we also want to legalize minorities.” Niki Berlakovich entpuppt sich als falscher Grüner: “We prefer wine.”


Alle Fotos: K. Vlasich/NG

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