You’ll die at sea.
Abdel Wahab Mohamed Youssef, Dichter aus Darfur, besser bekannt als Abdel Wahab Latinos, starb im August bei einem Schiffsunglück vor der libyschen Küste
Your head rocked by the roaring waves,
your body swaying in the water,
like a perforated boat.
In the prime of youth you’ll go,
shy of your 30th birthday.
Departing early is not a bad idea;
but it surely is if you die alone
with no woman calling you to her embrace:
“Let me hold you to my breast,
I have plenty of room.
Let me wash the dirt of misery off your soul.
Es ist acht Uhr morgens, fast die gesamte Crew befindet sich im Morningmeeting. Der vorletzte Tag unserer Quarantäne am Anker. Knapp zwei Wochen zuvor haben wir 353 gerettete Menschen an ein Quarantäneschiff vor Palermo übergeben. Es war ein harter Abschied von unseren Gästen, die mit uns über 10 Tage auf See und sehr beengt ausharren mussten, bis Italien uns einen POS, einen Place of Safety angeboten hat. Der Abschied fiel schwer, weil wir – die weißen Europäer*innen – wussten – und sie – die ohne Papiere – ahnten, dass nun die nächste Odysee und Schikane beginnt. Mitten im Treffen kommt Stevan, Kapitän der Sea-Watch 4, und teilt seine Sorge um die Open Arms. Das Schiff hat vor wenigen Stunden einige hundert Meter neben uns Anker geworfen. An Bord befinden sich zu dem Zeitpunkt über 250 Personen, die ebenso vor einigen Tagen gerettet wurden. Die Menschen an Bord befinden sich teils in einem gesundheitlich sehr desolaten Zustand. Beim Anblick von Land und ohne Aussicht auf weitere Perspektiven gerät die Situation außer Kontrolle: Dutzende Menschen beginnen zu springen. Zunächst reagieren die italienischen Behörden nicht auf den Notruf des spanischen NGO-Schiffes, dann treffen sie doch zeitgleich mit unseren Schnellbooten ein. Grotesk: Die Zivilgesellschaft muss nicht nur vor der libyschen Küste, einem Bürgerkriegsland, Menschen vor dem Ertrinken retten, sondern offenbar auch in italienischen Hoheitsgewässern.
Es geht alles gut, alle überleben. Am nächsten Morgen springen erneut um die 50 Personen, selbes Spiel. Erst dann werden die Gäste der Open Arms auf ein Quarantäneschiff transferiert. Zwei Wochen später stirbt einer der Geretteten fünfzehnjährig, da seine Folterverletzungen offensichtlich ignoriert wurden.
Was hier zu beobachten ist: strukturelle Gewalt par excellence, gekleidet in abgestumpfte Realität, ausgeführt von den europäischen Staaten unter aller Augen.
Es ist normal, dass sich Menschen auf die Flucht machen.
Es ist normal, dass diese beschwerlich ist.
Es ist normal, dass diese von Europa erschwert wird.
Es ist normal, dass Schwarze Menschen ertrinken.
Es ist normal, dass sich die Zivilgesellschaft darum kümmert.
Es ist normal, dass europäische Behörden Hilferufe ignorieren.
Es ist normal, dass Gerettete Wochen lang auf See ausharren müssen.
Es ist normal, dass sich Menschen vor Europa ins Wasser stürzen, um den letzten Funken Aufmerksamkeit zu erhaschen.
Was ist normal?
Und viele von uns sanken nah den Küsten
Bertolt Brecht – Kriegsfibel
Nach langer Nacht beim ersten frühen Licht.
Sie kamen, sagten wir, wenn sie nur wüßten.
Denn daß sie wußten, wußten wir noch nicht.
Zurück in Österreich habe ich unter anderem versucht, das Fremdwort Seenotrettung ins österreichische Vokabular einzuführen. Ein schwieriges Unterfangen. Eine schönes und ausführliches Gespräch durfte ich auf Okto TV führen.
Gegenwärtig werden beinahe alle Schiffe ziviler Seenotrettung blockiert – unter anderem die Sea-Watch 3 und und die Sea-Watch 4. Grund dafür ist, dass im Rahmen einer Hafenstaatskontrolle (Port State Control) nach Mängel gesucht und diese auch gefunden wurden. Eine solche Kontrolle ist im professionell nautischen Kontext Routine – umso schockierter zeigten sich etwa auch Kapitän und Offiziere an Bord, die ebenso auf den politischen Charakter dieser Kontrolle hinweisen. So wird uns unter anderem vorgeworfen, dass wir zu viel Rettungsmittel an Bord haben. Die uns vorgeworfenen Punkte sind lächerlich, schikanös und zynisch – während die europäischen Behörden Menschen wissentlich ertrinken lassen, wird uns etwa vorgehalten, dass die Sea-Watch 4 sei für die aufgenommene Anzahl an Personen nicht ausgelegt sei. Der deutsche Flaggenstatt bescheinigte uns noch im Juli, dass die Sea-Watch 4 alle Auflagen erfüllt – die italienischen Behörden fungieren hier also als verlängerter Arm des europäischen Antimigrationsregimes. Was wir und andere NGOs dazu denken und warum wir so vehement protestieren, hört ihr hier.
Ich werde oft nach den schlimmsten und schönsten Erlebnissen gefragt, doch in Superlativen zu sprechen fällt mir schwer. Was mich erneut beeindruckt hat: die Entschlossenheit und Vehemenz, mit der sich die Crew an Bord engagiert – und diese ist nur die Speerspitze einer ganzen Truppe, ja einer ganzen Bewegung, die es schafft, den Riesen Europa zu ärgern und permanent Sand ins Getriebe zu streuen. Trotz aller politischen und bürokratischen Zermürbungsversuche werden zwei Schiffe in professioneller und auch aktivistischer Weise betrieben, das ist ungeheuer motivierend. Was bedrückend ist: Die oben beschriebene, blanke und weithin akzeptierte Normalität in all ihrer Wucht.
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Eine poetische Reflexion nach einer der erfolgten Rettungen:
Schamstolz
sich brüsten
und zugleich
kuschen
stechenden Blickes
gesenkten Hauptes
am liebsten verkriechen würde ich mich
sich vor ihrem nicht verkriechen können verkriechen
eine Vehemenz, die zu mir überschwappt,
von der ich mir eine Scheibe abschneiden will
der schlackernde und unförmige Gummi
vor unserem harten deutschen Stahl
auf wankenden Schritten
gehen sie der Stahlleiter entgegen
und greifen kraftvoll zu
entschlossen
und fallen an Bord zu Boden
richten sich auf und
stellen
sich
an
eine
lange
Reihe
eine
lange
Reihe
des
Anstellens
und
Wartens
doch auch hier:
es wird einer Unterordnung gehorsam stattgegeben
und zugleich Recht
eingefordert
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Jakob Frühmann wuchs im Südburgenland auf und pendelt zwischen ebendort, Wien und der übrigen Welt. Neben seiner Tätigkeit als Lehrer schreibt er Unterschiedliches, fährt gern zur See und engagiert sich seit einigen Jahren bei Sea Watch. Seinen letzten Text veröffentlichten wir vor der Mission. Zudem danken wir Chris Grodotzki für die unglaublichen Fotos.