»Im Namen des profil habe ich [Janez] Janša um ein Interview gebeten. Er lehnte mit der Begründung ab, dass er sich nicht mit Leuten unterhält, die im Wohlstand geboren wurden und von den Ideen der extremen Linken manipuliert werden. Das war die offizielle Antwort eines Regierungschefs.«
Franziska Tschinderle ist Journalistin und arbeitet derzeit im Außenpolitik Ressort des Nachrichtenmagazins „profil“. Ihre Wurzeln liegen im Kärntnerischen Gailtal/Zila – konkret in Göriach/Gorjane und Thörl Maglern/Vrate – und sie hat Journalismus und Zeitgeschichte studiert. Ihr journalistischer Fokus liegt auf Südosteuropa. Tschinderle publizierte bereits in den Zeitschriften Datum, le Monde Diplomatique, taz, Vice. 2020 erschien ihr erstes Buch „Unterwegs in Albanien. Meine Reise durch ein unbekanntes Land.“ Ein Gespräch über das historische und heutige Albanien, die Situation der Medien in Slowenien sowie über Janez Janša und Viktor Orbán.
NG: Sie arbeiten als Journalistin mit Fokus auf Südosteuropa. Warum haben sie sich für diesen Beruf entschieden?
Franziska Tschinderle: Ich habe an einer Art Austauschprogramm teilgenommen, über das einige junge Leute zu den Olympischen Spielen nach Sotschi geschickt wurden. Eigentlich war das eine Social-Media Aktion der Firma Samsung. Jede*r bekam ein Smartphone und sollte damit von den Olympischen Spielen berichten. Damals häuften sich die Vorwürfe gegen Russland in Bezug auf Menschenrechtsverletzungen, vor allem die LGBTIQ+ Community betreffend. Es kam zu weltweiten Protesten gegen die Austragung dieser Olympischen Spiele. Unter anderen protestierte auch die Punkrockgruppe „Pussy Riot“. Ich fuhr damals zum Gefängnis, wo „Pussy Riot“ eine Protestaktion abhielt. Damals war ich Studentin und bei keinem Medium als Journalistin angestellt. Als ich dort zwischen den Medienvertreter*innen stand und sah, wie die Aktivistinnen mit erhobener Faust das Haus verließen, wusste ich, dass ich über solche Momente berichten wollte.
NG: Sie schreiben gerade an ihrer Masterarbeit, die sich mit der nationalsozialistischen Besetzung Albaniens währen des zweiten Weltkrieges befasst. Welchen Fokus hat Ihre Arbeit?
Tschinderle: Albanien war während des zweiten Weltkrieges ununterbrochen von den Faschisten besetzt. Zuerst von den italienischen und dann ab 1943 von den deutschen Nationalsozialisten. In meiner Arbeit fokussiere ich mich auf Hermann Neubacher, ein Oberösterreicher, der nach dem „Anschluss“ der erste nationalsozialistische Bürgermeister Wiens wurde. Während seiner Amtszeit begannen die Plünderungen jüdischer Geschäfte beziehungsweise die Enteignung von Wohnungen und Häusern. Ab 1940 war er als Hitlers Diplomat in verschiedenen Balkanstaaten tätig. Schlussendlich landete er in Albanien. Er war die diplomatische Leitfigur bei der NS-Okkupation Albaniens. Seine Aufgabe war, Albaner*innen zu finden, die bereit waren mit den Nazis zusammenzuarbeiten und eine Kollaborationsregierung zu bilden.
NG: Wie geht Albanien mit der eigenen Geschichte im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus um?
In den Balkanstaaten ist das Gedenken an jene, die Widerstand gegen den Nationalsozialismus geleistet haben, stark verwurzelt. Dies polarisiert die albanische Gesellschaft. In Albanien gab es Partisan*innen, die für Tito und eine sozialistische Nachkriegsordnung gekämpft haben, aber auch Monarchist*innen und Ballist*innen, die eher nationalistisch, in diesem Kontext großalbanisch, eingestellt waren. Nach dem Krieg ergriff der Kommunist bzw. Stalinist, Enver Hoxha, die Macht. Er verwandelte Albanien für Jahrzehnte in eine repressive Diktatur. Hoxha war ein Partisan und hat nach dem Krieg alle, die nicht mit den Partisan*innen gekämpft hatten, pauschal als Nationalsozialist*innen, Faschist*innen und Kollaborateure diffamiert und sie und ihre Familien verfolgt. Teilweise wurden sie in Straflager geschickt, oder es wurde ihnen untersagt zu studieren. Meine Recherche hat gezeigt, dass nicht alle, die z.B. in der Kollaborationsregierung saßen, auch eine nationalsozialistische Ideologie vertraten. Meine Arbeit befasst sich auch damit, welche Auswirkungen der Umstand, auf welcher Seite man während des Krieges stand, hatte und noch heute hat.
NG: Ihr Buch „Unterwegs in Albanien. Meine Reise durch ein unbekanntes Land“, das im Vorjahr erschienen ist, beginnt mit ihrer Recherche zu Enver Hoxha. Wie ordnen sie den Umgang mit der Erinnerung an Enver Hoxha ein?
Niemand erinnert sich gerne an die dunklen Seiten der eigenen Geschichte, obwohl gerade das ungemein wichtig ist. In Albanien weint niemand der Regierungszeit von Enver Hoxha nach. Ein Großteil der Bevölkerung hat in dieser Zeit stark gelitten und anders als z.B. Jugoslawien, war Albanien vollkommen isoliert von der restlichen Welt. Nur sehr privilegierte Menschen konnten die Grenzen des Landes überschreiten z.B durch Sport, Diplomatie oder Studium. Auch die Arbeitsmigration, wie in Jugoslawien gang und gebe, war in Albanien verboten. Auf meinen Reisen bin ich nur in Ausnahmefällen auf Menschen gestoßen, die sich nach dieser Zeit gesehnt haben.
Jedoch wird nach wie vor am Geburtstag von Enver Hoxha von den ehemaligen Partisan*innen eine Gedenkfeier organisiert. Das hängt damit zusammen, dass Enver Hoxha nach wie vor mit dem bis heute geschätzten Widerstandskampf gegen den Faschismus in Verbindung gebracht wird.
NG: Sie haben auch geschichtliche Verbindungen zwischen China und Albanien untersucht. Hat diese gemeinsame Geschichte bis heute Auswirkungen?
Diese Verbindung ist heute eigentlich nicht mehr spürbar. Vor der absoluten Isolation gehörte Albanien nicht zum Ostblock und auch nicht zu Jugoslawien. Damals war Albanien 17 Jahre lang mit China alliiert. China war Albaniens letzter Verbündeter in der kommunistischen Welt. Damals waren die Beziehungen sehr eng. In Albanien wurden Fabriken nach chinesischen Führen benannt, z.B. die Textilfabrik „Mao Ce Dun“ (Mao Zedong) in Berat und teilweise mussten junge Albaner*innen in China studieren. Letztendlich ist aber auch diese Zusammenarbeit erodiert und Albanien hat sich total isoliert.
NG: In ihrem Buch befassen Sie sich auch mit aktuellen gesellschaftlichen Fragen, wie z.B. mit den Rechten der LGBTIQ+ Community. Aber auch Historisches wie die Blutrache, »Gjakmarrje«, die in der albanischen Rechtsprechung »Kanun« verankert ist, findet Eingang in das Buch. Wie beurteilen Sie die mediale Berichterstattung über Albanien?
Die Albaner*innen im Kosovo und in Albanien haben eine sehr tragische Geschichte. Im Kosovo erlebte das Volk den versuchten Genocid, die Vertreibung von circa einer Millionen Albaner*innen unter Slobodan Milošević, den Krieg von 1998 bis 1999 usw. In den 1990er Jahren haben in Albanien um die 100 Tausend Menschen versucht das Land zu verlassen, um vor dem kommunistischen Terror und später vor der ökonomischen Situation zu fliehen. Das sind prägende Einschnitte. Das Problem in der Berichterstattung ist, dass der Fokus, trotz wirtschaftlicher Verbesserungen, immer auf Krisenhaftes gelegt wird. Journalist*innen berichten meist über Dinge, die nicht funktionieren. Sie haben nur selten die Möglichkeit in ein Land einzutauchen und unbelastet die Menschen, ihre Kultur und Geschichte kennenzulernen. Ich bin froh, dass ich in meinem Buch das Schöne am Land bearbeiten konnte. Bei Themen, wie der Blutrache, versuchte ich stereotype Erzählungen zu vermeiden. Heute ist die Blutrache z.B. mit dem organisierten Verbrechen verbunden. Albanien ist nun einmal kein »wildes Land«, in dem eine »düstere Kultur« herrscht und die Blutrache die gesamte Rechtssprechung außer Kraft setzt.
NG: Sie haben sich in der Zeitschrift »Profil« auch mit dem Regierungschef Sloweniens, Janez Janša, beschäftigt. Das Image von Janez Janša schwankt zwischen proeuropäisch und rechtspopulistisch. Wie kann er diese Ambivalenz aufrechterhalten?
Janša passt in das Bild des klassischen Rechtspopulisten. Das ist eigentlich nichts Neues. Seine Politik ähnelt einer Backmischung. Die Zutaten sind: ein wenig ungarischer illiberale Demokratie, die in den letzten 10 Jahren vor unser aller Augen installiert wurde und auf die wir nach wie vor keine Antwort gefunden haben, und dann etwas Trumpismus, den Janša stärker kopiert als sonst irgendein Staatsoberhaupt. Das gleitet oft beinahe in eine Art Trump-Verehrung ab. Janša tendiert auch zu Verschwörungstheorien, wie z.B. jener des „tiefen Staates“ („Deep State“). Janša spricht immer wieder davon, dass eine kleine Gruppe von linken Mächten das Land dirigiere und den Medien Lügen diktiere. Diese Verschwörungstheorie steht auch unter anderem im Zusammenhang mit der US-amerikanischen QAnon-Bewegung, die ähnliche Ansichten behauptet und verbreitet. Für mich ist die Tatsache, dass ein Regierungschef Verschwörungstheorien vertritt, sehr schockierend.
NG: 2016 hat die RTV-Slovenija Journalstin Mojca Pašek Šetinc Janez Janša wegen Diffamierung geklagt. Janša hat sie und Eugenija Carl auf Twitter als Prostituierte bezeichnet, konkret lautet das Janša Zitat – »auf einer Facebookseite des Öffentlich-Rechtlichen bieten die ausgedienten Prostitutierten Evgenija C. in Mojca P. Š. billige Dienstleistungen an“. Das ist nur einer der Angriffe von Janez Janša auf Journalist*innen. Wie beurteilen sie das Verhältnis von Janez Janša zu den Medien?
Janša attackiert ständig Journalist*innen und Medien. Eine mögliche Folgeerscheinung dessen ist, dass die Menschen immer weniger glauben, was in den Medien publiziert wird. Das slowenische, rechte Medienhaus „Nova24TV“ haben Mitglieder der Janša Partei SDS – slowenischen demokratischen Partei – gegründet. Jede*r, die*der sich wissenschaftlich oder journalistisch mit den Ideen des Rechtspopulismus und der extremen Rechten beschäftigt, sollte sich das einmal ansehen. „Nova24TV“ verbreitet unter anderem auch antisemitische Inhalte. In ihren Fernsehsendungen waren schon Holocaustleugner*innen zu Gast. Das ist zudem auch die Plattform, die Janša regelmäßig retweeted.
In den 1980er Jahren publizierte Janša in der Zeitung „Mladina“ die Pläne der jugoslawischen Armee, die slowenische demokratische Bewegung zu unterdrücken. Heute ist für ihn Pressefreiheit ein Fremdwort. Das ist eine sehr ambivalente Entwicklung. Aber viele Politiker*innen haben einen solchen Wandel vollführt – das beste Beispiel dafür ist Viktor Orbán. Auch Orbán hatte in den 1980ern das Image eines liberalen Kämpfers für Freiheit, der sehnsuchtsvoll auf den Wandel wartet. Einige Zeit war Orbán auch ein echter Liberaler, bis er sich dem Zeitgeist anpasste. Er bemerkte, dass man mit nationalistischer Politik mehr Menschen mobilisieren kann. Der heutige Orbán hat mit dem aus den 1980ern nichts mehr zu tun. Bei Janša war es wahrscheinlich ähnlich. Ausschlaggebend für Janša ist auch seine grundsätzliche Ablehnung gegen alles und jeden, das mit dem jugoslawischen Kommunismus zu tun hatte. Das drückt sich auch in einer gewissen Form von Paranoia aus. So wirft er der Zeitschrift „Mladina“ vor, dass sie mit Geheimdienstmethoden arbeite.
NG: Slowenien übernimmt im Juli die Ratspräsidentschaft der Europäischen Union. Wie glauben Sie, wird Janez Janša in diesem Zusammenhang auftreten?
Das ist eine gute Frage! Im Namen des profil habe ich Janša mehrmals um ein Interview gebeten. Er hat geantwortet, dass der nicht »mit Menschen spricht, die in Reichtum geboren wurden und die von den Ideen der extremen Linken manipuliert werden«. Das ist die offizielle Antwort eines Regierungschefs.
Es könnte sein, dass Janša sich jetzt zurückzieht. Er hat ja auch den Kampf gegen die Klimakrise auf die Agenda gesetzt. Das ist ein sehr zynischer Schritt, wenn wir bedenken, dass er noch vor einiger Zeit an einer durch den Menschen verursachten Klimakrise gezweifelt hat. Es könnte sein, dass er sich in diesem Halbjahr als glühender Proeuropäer gebärdet und die Menschen ihm das auch glauben.
Die Europäische Volkspartei, in der auch die SDS und die ÖVP Mitglied sind, könnte aber auch aus dem Sorgenkind Viktor Orbán gelernt haben, dass man eine Antwort darauf finden muss, wenn eines ihrer Mitglieder zum Beispiel Journalist*innen attackiert. Sie müssten sich gegen ein solches Agieren auflehnen, wenn notwendig auch mit Sanktionen. Es ist augenscheinlich, dass sich Slowenien aktuell politisch in Richtung Polen und Ungarn entwickelt. Das bestätigt auch das Europäische Parlament.
Nachsatz: Ursprünglich wurde das Interview Anfang April geführt. Am 7. April wurde Franziska Tschinderle jedoch unerwartet im ungarischen Staatsfernsehen an den Pranger gestellt: mit vollem Namen, Foto und Screenshots publizierter Artikel, die sie über Orbán veröffentlichte. Sämtliche Parteien in Österreich, bis auf die FPÖ, solidarisierten sich mit Tschinderle, außerdem aicj Reporter ohne Grenzen und das International Press Institute (IPI). Der Fall liegt mittlerweile vor dem Europarat.
Good morning to you too. https://t.co/6VhfzCsN4q
— FranziskaTschinderle (@tschinderle) April 8, 2021
NG: Wie kam es zu diesen Angriffen von Seiten des ungarischen Staatssenders auf ihre Person?
Tschinderle: Nachdem Orbán’s Fidesz die Europäische Volkspartei (EVP) verlassen hat, haben wir uns beim profil gefragt: Was macht die Fidesz jetzt? Welcher Fraktion im EU-Parlament werden sie beitreten? Und was ist an dem Plan dran, dass Orbán und Lega-Chef Matteo Salvini eine große Rechtsfraktion im EU-Parlament planen?
Dazu habe ich der Fidesz Anfang April eine E-Mail mit drei Fragen geschickt. Mich hat unter anderem interessiert, welche Parteien Teil der Fraktion sein sollen, wofür diese Fraktion inhaltlich stehen will und auch, wie man politisch Trennendes untereinander überbrücken will. Die Fragen wurden nie beantwortet sondern an den ungarischen Staatssender weitergeleitet, vergleichbar mit dem österreichischen ORF. Dort lief fünf Mal in Folge ein vernichtender Beitrag über mich und meine Arbeit. Das wäre ungefähr so, als würde eine ungarische Journalistin der ÖVP Fragen schicken und dann über Tage in der ZIB2 von Armin Wolf an den Pranger gestellt werden. Unvorstellbar wäre das.
Ich wurde als „Amateurin“ bezeichnet und meine Fragen als „provokant.“ Am Ende entwuchs dieses E-Mail zu einer diplomatischen Affäre, weil sich der österreichische Außenminister eingeschaltet und seinen ungarischen Amtskollegen angerufen hat.
Aber halten wir mal einen kurzen Moment inne: in einem EU-Mitgliedsland, also Ungarn, wird eine Journalistin attackiert, weil sie ihren Job macht nämlich Fragen stellen. Mir hat das als EU-Bürgerin ernsthaft zu denken gegeben: wer will in einer Gesellschaft leben, wo einen das Stellen von Fragen unter Generalverdacht stellt? Was in Ungarn passiert, ist besorgniserregend. Nicht nur für Journalisten, sondern am Ende für uns alle.
Ana Grilc ist freie Journalistin, Literatin und Künstlerin und arbeitet aus Wien/Dunaj und Koroška/Kärnten. Sie schreibt u.a. für die kärntnerslowenische Wochenzeitung Novice. Zudem ist sie Studentin an der Universität für Angewandte Kunst Wien und ist gemeinsam mit Julija Urban Leiterin des feministischen Regieteams “Feminem MaxiPad”. 2020 gewann sie den Newcomer-Literaturpreis der Stadt Klagenfurt/Celovec mit dem Text „Der Leichenfresser“.