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Herr Gatterer im Schatten der Karawanken 

Gdo je bio Claus Gatterer?

In gewissen Kreisen Koroška/Kärntens sagt man, man solle um Widerstandsgeist oder Journalismus zu lernen, ins Baskenland/Euskadi oder zu den Südtiroler:innen reisen. Dies ist kein Zufall, denn aus Sexten/Sesto erhob sich einst ein Vorreiter des bi- und interkulturellen Feldes, eine Journalistenlegende, die neue Maßstäbe im Umgang mit vulnerablen sozialen Gruppen setzte – und das im nationalen österreichischen Fernsehen: Claus Gatterer.

„Das Fernsehen verlöre seinen Sinn, wenn es von Ängstlichen für Ängstliche gemacht würde.“

 Claus Gatterer im ORF-Teleobjektiv vom 31.1.1984

Claus Gatterer: Kdo? Kje? Kdaj? 

Es ist das Jahr 1922 und die faschistische Partei um Benito Mussolini hat in Italien die Macht ergriffen. Sexten/Sesto gehört in Folge des Friedensvertrages von St. Germain Italien an und Mussolini sind die Minderheitler:innen ein Dorn im Auge. Die Südtiroler:innen, einst Angehörige der größten Nationalität im Vielvölkerreich Österreich-Ungarn, finden sich durch keinen internationalen Vertrag geschützt, als Minderheit in einem Nationalstaat wieder, zu dessen täglicher Agenda die Italisierung „fremdständiger“ Staatsbürger:innen gehört.

Gatterer, ältester eines Nonetts an Bergbauernkindern, wird zwei Jahre später als eben so ein Südtiroler geboren. Die Erinnerungen seiner Eltern an die verflossenen Zeiten der Habsburgermonarchie und die prekäre Lage der Minderheitenangehörigen prägen ihn nachhaltig. In den 1930er und 1940er Jahren besucht Gatterer die italienische Grundschule (Deutsch als Unterrichtssprache ist seit 1923 verboten), das bischöfliche Knabenseminar und landet schließlich in der Universität Padua, zwischen lettere e filosofia. Padua ruft, weil im Folge des deutsch-italienischen Umsiedlungsabkommens (der sogenannten „Option“ bzw. das Hitler-Mussolini-Abkommens aus dem Jahre 1939), sich die Familie gegen eine Abwanderung in Deutsche Reich und für die Bewirtschaftung des bäuerlichen Hofs in Sexten/Sesto als italienische Staatsbürger:innen entscheidet. „Dableiber:innen“ nennt man sie und es folgen Anschläge: Man vergiftet ihnen den Hofhund, sägt drei Apfelbäume ab, stürzt den Bienenstand um und schreibt an den Zaun vor ihren Haus „VOLKSVERRÄTER“. Gatterer schließt sein Studium aus ökonomischen Gründen nicht ab, zum Professor ernennt ihn Österreich ab 1970 dann trotzdem. 

1945 beginnt die journalistische Laufbahn Gatterers. Er ist 21 Jahre alt, Redakteur zweier Zeitungen, Presseattaché der neuen SVP (Südtiroler Volkspartei). Er macht Kariere als Zeitungsjournalist – in Redaktionsposten, Korrespondenzposten, gemeinen Journalist:innenposten. Die Zeit, das Profil, der Kurier – alles was Rang und Nomen hat, reißt sich um Gatterer. Das Printmedium lebt, Fische bleiben uneingerollt. Ab 1956 darf sich Österreich Gatteres rühmen, im selben Jahr wird er dann auch ein echter Wiener, der nicht untergeht.

Es ist das Ende der 1960er Jahre, der Mary Quants Minirock, sowie der Mini-Mini, erreichen das Maximum an Popularität, im 300-Sessel Hörsaal 1 des NIG wird auf der österreichischen Nationalflagge masturbiert, gepeitscht, geschissen und die Stones veröffentlichen „Sympathy for the Devil“. Auch im Wohnzimmer Gatteres läuft das Radio und seine erste Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Rundfunk (ORF) beginnen. 1969 schließt er die mediale Dreifaltigkeit ab, geht zum Fernsehen und produziert den ersten einer Reihe von Dokumentarfilmen für den Öffentlich-Rechtlichen. 

„Einen schönen, guten Abend, meine Damen und Herren, ich begrüße Sie zur neuen Ausgabe von `teleobjektiv´. Entgegen meiner Gewohnheit darf ich heute, – zur Einleitung, – ein paar persönliche Worte sagen. In Telefonanrufen und Briefen wird immer wieder gefragt: `Was für ein Landsmann ist dieser Gatterer’?“

Claus Gatterer

1974 gebiert sich das Fernsehmagazin teleobjektiv. Junge Redakteur:innen, wie Langbein, Huemer, Spira machen dort ihre ersten Beiträge. Doch das teleobjektiv ist nicht einfach ein Experimentierlabor, in dem man „die Jungen mal machen lässt“. Teleobjektiv will sich mit jemandem anlegen – Aufdecker:innenjournalismus oder Schläg!

Die fundierten Hintergrundberichterstattungen arbeiten sich am Enthüllen sozialer Missstände ab. Seit dem Naturalismus (Anonymität, Bohème, Milieu; Ibsen, Gorki, Zola) war der Mensch unter der Glasdecke nicht mehr so in den Fokus gerückt worden. Die Kreisky-Ära verspricht Aufbruch. Fernsehen kann auch anders, Fernsehen ist veränderbar, subversiv, dynamisch. Gatterer versteht die Rolle von Journalist:innen als jene von Anwält:innen der strukturell Schwachen. Den Machtzentren von Wirtschaft, Politik und auch dem eigenen Haus eins auswischend prägen Kritik an starren gesellschaftlichen Strukturen, Berichte über Missstände in der Arbeitswelt, Skandale in der Pharmaindustrie und im Gesundheitswesen und die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit die teleobjektiv-Sendungen. 150 Mal schafft es das teleobjektiv in die österreichischen Kernfamilienhäuser bis die Sendung aufgrund von durch sie ausgelösten Kontroversen abgedreht wird. Hierzu meinte Gatterer später:

„Wo wir auf Verbündete gehofft haben, sind wir leider zumeist auf Gegner[:innen] gestoßen. Als unsere wahren Verbündeten haben sich das ORF-Gesetz und eine in ihrer Treue ungemein treue Seher[:innen]gemeinschaft erwiesen.“

Claus Gatterer im ORF-Teleobjektiv vom 31.1.1984

Gatterer und die Kärntner Slowen:innen 

Herzens- und Maniesubjekt sind Gatterer die österreichischen Minderheiten. Er berichtet über die schlechten Lebensbedingungen ethnischer Minderheiten und deren Ausgrenzung in Österreich, nimmt sich einer internationalen Perspektive an, schockt den deutschsprachigen Raum mit der Aussage, es gäbe 38 Millionen Minderheitenangehörige in Europa

Gatterer zeigt sich stets solidarisch. Aus den eigenen Repressionserfahrungen formt er Empathie und kämpft für das Erstellen und Bestehen minoritärer Allianzen.

„Dass ich selber ein Angehöriger einer Minderheit bin und als solcher drangsaliert wurde, als solcher wirklich ein Fremder in der Heimat war, weil ich in der Schule nicht einmal Deutsch lernen konnte und die Verweigerung der Muttersprache ist ja ein wesentliches Element jeder Entfremdung, trägt bei mir dazu bei, dass ich vielleicht ein besonders offenes Ohr habe für Anliegen für Minderheiten.”

Claus Gatterer, Diskussionsrunde „Fremde in der Heimat“ , 18.6.1975

Was ist bei euch los da unten?

In einer Zeit, in der in Kärnten/Koroška Deutschnationalen und Rechtextremen gerade fröhlich-frisch Ortstafel niedermähen und dadurch eine zweite Traumatisierungswelle losbricht, während die Polizei jausnet, bleibt Gatterer nicht fern. Zeitzeugen berichten, dass der Südtiroler eines Nachmittags plötzlich (leibhaftig) im Büro des Begründers und damaligen Obmannes des ZSO (Zentralverband slowenischer Organisationen) Dr. Franci Zwitter auftauchte und schnaufte: „Wie kann ich Ihnen helfen?“ Es folgten zahlreiche filmische Beiträge mit und über die Kärntner Slowen:innen. 

Um Einblick in das damals vorherrschende Klima (noch nicht so sonnig) im Umgang mit den damaligen „Slowen:innenfrage“ zu gewähren, folgt nun ein kurzer, dramatisierter Auszug aus einer Diskussionsrunde, welche nach der TV-Dokumentation „Fremde in der Heimat“ (Brandstaller) über die Kärntner Slowen:innen im ORF anstand. 

Ein Stück Geschichte

Auftretende: FPÖ-Abgeordneten Otto Scrinzi, Prof. Claus Gatterer, stille Diskussionsgenoss:innen, eine Dame im Blumenkleid, die fortwährend Zettel zum Tisch bringt.

Scrinzi: „Der Zuseher, der die Probleme nicht ausreichend genau anschauen könnte, geht doch von diesem Film weg und sagt: Um Gottes Willen, die armen Slowenen leben dort, das Wort Apartheit ist ja auch sehr raffiniert gewählt, damit kann man ja gleich negative Emotionen hervorrufen, in einem Getto, unterdrückt, voll Angst, diskriminiert, Sorge um den Arbeitsplatz, er darf sich gar nicht mehr zu seiner Muttersprache, und ähnliches, bekennen.“

Trotz der Einsicht in die Kärntner Minderheitenproblematik, die diese akkurate Situationsanalyse verrät, fährt Scrinzi fort. 

Scrinzi: „Sie haben die von uns gar nicht bestrittene Grenzsituation, den gar nicht bestrittenen gelegentlichen Fall einer Auseinandersetzung, wo gegenseitige Beschimpfungen, auch Aggressionen fallen…Das ist aber gegenseitig! Sie haben es aber so dargestellt, dass das der Normzustand in Kärnten [Koroška] wäre […]“

Scrinzi beginnt, in einer wunderbaren Darbietung von „Ich hab eh viele Freunde, die [gerade rassistisch beleidigte Minderheit]-er sind.“, alle Vorteile („31 Kreditgenossenschaften und so weiter und so weiter“), die die Kärntner Slowen:innen genießen und die ihnen die FPÖ gönnt, aufzuzählen. 

Die Dame im Blumenkleid bringt einen weiteren Zettel, der Moderator gibt das Wort an Gatterer weiter.

Gatterer: „Erstens möchte ich feststellen, der Artikel 7 im Staatsvertrag ist keine Tücke der Slowenen [:Sloweninnen] und keine Tücke von Wien, sondern ist eine politische und eine historische Realität. Zweitens […] die heutige Situation in Kärnten [Koroška], das energischere Auftreten der Slowenen [:Sloweninnen], das selbstbewusstere Auftreten der Slowenen [:Sloweninnen] entspricht einem gesamteuropäischen Trend, der von Gibraltar bis zum Ural und darüber hinaus reicht. Die Jahre nach dem Ersten Weltkrieg, […], ist das Völkerrecht massiv gegen das Menschenrecht eingesetzt worden. […] Heute ist das Menschenrecht wieder daran sich gegen das Unrecht des Völkerrechts wieder einigermaßen durchzusetzen.“ 

Quelle: Diskussionsrunde „Fremde in der Heimat“ , 18.6.1975

Festzustellen ist, dass dieses Gespräch in Kärnten/Koroška zeitlos bleibt. Antislowenismus grassiert noch immer im Lande. 2022 Jahr organisierten die Studierendenvereinigungen KSŠŠD (Klub slovenskih študentk in študentov na Dunaju), KSŠŠK (Klub slovenskih študentk in študentov na Koroškem) sowie der Schüler:innenverband KDZ (Koroška dijaška zveza) den Minderheitenaktionstag M.A.D., um auf die Geschichte sowie die Folgen des Ortstafelsturms aufmerksam zu machen. Von den Demoschildern der Jugendlichen prangt noch immer aphoristisch Gatterers Argumentation zu der Legimität der Minderheitenrechte. Nach dem Credo: »Haček tuat nit weh«. Eine weitere Parallele besteht in der Reaktion der Mehrheitsbevölkerung auf die Forderungen basaler Rechte durch Minderheiten. Schon Gatterer konstatierte: 

„Seit Abschluss des Staatsvertrages und seit dem `Schulkampf´ – wenn man ihn als solchen bezeichnen kann – haben die Deutschkärntner[:innen] eine neue Linie gefunden, die recht geschickt ist. Sie fühlen sich durch die Minderheit bedroht, obwohl diese Minderheit so minimal und klein ist, sie sehen die Gefahr einer Slowenisierung Südkärntens [Južna Koroška] die überhaupt nicht gegeben ist und die Gefahr könnte auch nicht gegeben sein, wenn die Ortstafel dort stünde, und mit dieser larmoyanten Aggressivität appellieren sie an das Mitleidsgefühl der restlichen Österreicher[:innen] und auch des deutschsprachigen Auslandes.”

Claus Gatterer, Diskussionsrunde „Fremde in der Heimat“ , 18.6.1975

Mit dem Seziermesser šašlikiert entströmt der larmoyanten (sentimental-weinerlichen, mit allzu viel Selbstmitleid berauschten) Kärtner Seele also ein letztes „Herrgott beschütz ma mei Karntnalånd“. Eine Information am Rande: 2006 schaltet Haider im Zuge des Nationalratswahlkampfes in allen Kärntner Tageszeitungen ganzseitige Inserate mit dem Slogan „Kärnten wird einsprachig“. 2018 warb die FPÖ bei den Landtagwahlen mit dem Plakat „SPÖ bevorzugt slowenische Lehrer. Wir fordern Fairness für Kärnten im Schuldienst“. Der Kärntner Landtagswahlkampf 2023 wartete mit dieser Perle auf (da war dieser Text schon in Druck; Anm.).

Die bösen Slaw:innen warten noch immer auf ihre Chance, um nach Kärnten/Koroška zu greifen.  

Claus-Tandem im Gespräch mit dem ORF-Journalisten Samuel Mago

Nachleben Gatterers 

Professor Claus Gatterer ist in der österreichischen Journalist:innenseele sowie in den Fersen minderheitenfeindlicher Machthaber:innen verhaftet geblieben. Seit 1985, einem Jahr nach Gatterers Tod, wird der „Prof. Claus Gatterer-Preis für sozial engagierten Journalismus“ vom Österreichischen Journalisten Club (ÖJC) vergeben. Nach einer Kontroverse rund um Sponsorengelder wird die „Auszeichnung für hervorragenden Journalismus im Gedenken an Claus Gatterer“ nun als größter österreichischer Journalist:innenpreis vom Presseclub Concordia verliehen. 

Doch auch im Geiste der nächsten Generation von Journalist:innen lebt der Habitus Gatterers weiter. 2022 starteten die ORF-Minderheitenredaktion (geistige Nichte Gatterers und Widerstandzelle im ORF) zusammen mit dem Südtiroler Leiter des Rudolf Stolz Museums, Hermann Rogger, Initiator des Jugendjournalismuspreises „Claus“, das Projekt „Interkulturelle Claus-Tandems“. Partner:innen des Projektes sind u.a. das Burgtheater, die Albertina, das jüdische Museum, das DÖW, die Landesregierung Südtirol und nicht zuletzt NOVI GLAS.

Im September 2022  arbeiteten also rund 20 junge Frauen* aus Süd- und Osttirol sowie Kärnten/Koroška jeweils mit eine:r Mentor:in aus dem Minderheitenjournalismus zusammen um Reportagen zu erstellen, welche dann bei der nächsten Verleihung des „Gatterer-Preises“ in Sexten/Sesto präsentiert werden. Die Themen reichten vom jüdischen Wien, über die afroösterreichische Community, die Wiener Rom:nja, bis zu den Kärntner Slowen:innen (um Gatteres Lieblingsthema nicht außenvorzulassen). Während die Jugendlichen Interviews im DÖW (Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes) führten, eine B-Roll im Klub filmten und das Parlament, einschließlich Pressekonferenz, einnahmen, erhellten Rufe wie „Halt drauf!“ die Wiener Straßen. 

Ist das Perpetuierung von Ethnoštres? – Vielleicht. Braucht es heute kritischen Minderheitenjournalismus mehr denn je? – !

Teilnehmer:innen der Claus-Tandems im ORF-Zentrum mit Armin Wolf

Kolaž na početku: Ana Grilc
Der Text ist in der NOVI GLAS-Printausgabe 3/2022 erschienen
Zu den Claus-Tandems auf Instagram

1 Comment

  1. […] Für die 24-jährige slowenischsprachige Ana Grilc aus dem österreichischen Bundesland Koroška/Kärnten ist Gatterer zweifelsohne ein journalistischer Bezugspunkt. Die junge Literatin machte mit ihrem Erstlingswerk Wurzelreisser:innen auf sich aufmerksam, politisch als Vorsitzende des Klubs slowenischer Studentinnen und Studenten in Wien/Dunaju. Ana Grilc schreibt für die slowenische Wochenzeitung Novice, in der burgenländisch-kroatischen Zeitung Novi Glas widmete sie Claus Gatterer einen engagierten Artikel, Herr Gatterer im Schatten der Karawanken. […]

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