Die gottlose Komödie

Dantes kulturelle Aneignung. Im Bilde sein Mausoleum in Ravenna.

Man schreibt den 1. April 2022. Ganz Italien ist festlich geschmückt ob des zum 700. Mal wiederkehrenden Todestags seines Nationaldichters Dante Alighieri.

Ganz besonders spürt man diese feierliche Andacht in Ravenna, wo die sterblichen Überreste dieses angeblichen Sprachgiganten verwesen und noch heute inmitten der Stadt einen unangenehmen Geruch rund um sein Mausoleum verbreiten. Wer allerdings ins Stadtarchiv geht und dort einen Blick in die noch erhaltenen Unterlagen aus jener Zeit wagt, der wird rasch erkennen, dass der König der italienischen Literatur nur ein gemeiner Dieb war, der nicht nur geistiges Eigentum gestohlen hat und damit einige Parallelen zu Joseph Haydn aufweist – dazu später mehr. Dante war es auch gewohnt, weltliches Eigentum unrechtmäßig in seinen Besitz zu bringen.

Sicher ist sicher

Belegt ist beispielsweise der Bericht darüber, dass Dante am Vorabend seines eigenen Todes (1. April 1322) den italienischen Fürsten Guido Novello da Polenta, der sich 1316 der Herrschaft über Ravenna bemächtigt hatte, an jener Stelle an der heute sein Mausoleum steht, brutal niedergeknüppelt und ausgeraubt hatte. Der vollkommen wehrlose da Polenta, zu diesem Zeitpunkt schon blind, lahm und vom Alter vernebelt, wollte sich dem Angreifer noch ergeben. Aber Dante war zu tapfer, um die Kapitulation dieses verkrüppelten Greises hinzunehmen und so stach der Dichterfürst auf den weltlichen Fürsten unter lautem Beifall seiner ebenfalls schwer betrunkenen und halbnackten Begleiterin Francesca da Rimini, der Tochter da Polentas, ein. Zweiundreißigmal. Sicher ist sicher.

Jutro rano

Haydn selbst konnte zwar nie nachgewiesen werden, dass er ebenfalls Menschen auf offener Straße niedergeknüppelt oder gar erdolcht hätte, obwohl er mehrmals unter Verdacht einer solchen Tat stand, aber er hat erwiesenermaßen geistiges Eigentum bei den Burgenlandkroat*innen seiner näheren Umgebung gestohlen. So gab er beispielsweise die heute allgemeinbekannte Österreichische Kaiserhyme beim burgenlandkroatischen Feldarbeiter Ferencz Sucicz, der sich in seiner spärlichen Freizeit als Komponist verdingte, in Auftrag und gab es als sein eigenes Werk aus. Dies war besonders dreist, da Haydn selbst von Musik recht wenig verstanden haben dürfte. So ist ein Briefwechsel zwischen Wolfgang Amadeus Mozart und dem Verleger Heinrich Philipp Bossler belegt, in welchem sich Bossler beklagt, dass Haydn offenbar nicht wisse, wie man Noten zu Papier bringt. Auch könne er die konfusen Kritzeleien des Provinzkomponisten kaum entziffern. Mozart wiederum bezeichnete in seiner Replik ein wirres Gespräch mit Haydn, in welchem dieser betonte, dass man seine Sprache (gemeint war – wie man heute weiß – nicht die Musik, sondern das Ungarische) in der gesamten Welt verstünde. Die Abgeschiedenheit von anderen Musikern am Hof der Esterhàzy und die vollkommene Ahnungslosigkeit dieses ungarischen Adelsgeschlechts in musikalischen Belangen ermöglichten es Haydn nicht nur musikalisches Können vorzutäuschen, sondern offensichtlich auch allen Bezug zur politischen Realität der Zeit zu verlieren – so Mozarts Analyse.

Geheimes Transkript

Derartiger Diebstahl geistigen Eigentums hat 410 Jahre vor der Geburt Haydns (übrigens ebenfalls am 1. April) schon einmal zu fälschlichem Ruhm geführt. Als nämlich Dante – und hier schließt sich der Kreis – am 5. Juli Anno Domini 1320 anlässlich der Erhebung der Gebeine des Mehrtürers (der Gute scheint bei einem Autounfall ums Leben gekommen zu sein) Nicomedes von Rom in der der heiligen Maria Ester geweihten Kirche in Acquaviva Collecroce, einer zu diesem Zeitpunkt bereits seit über 930 Jahren von Molisekroat*innen besiedelten Kulturhochburg, andächtig sein Knie zum stillen Gebet (und um ein paar Münzen aus der Geldschatulle für die Armen zu stehlen) beugte, begab es sich, dass er Ohrenzeuge einer Gutenachtgeschichte wurde, welche die Ortsälteste Donna Maria Lucia Giorgetta (eigentlich Jurčević) dem kleinen Kind Giulia erzählte. Die Muhme berichtete darin von den neun Höllenkreisen und der Unerreichbarkeit des Elysium und des Paradieses. Gott würde die sündigen Gebeine des armen Mädchens unter Qualen im tiefsten Höllenkreis auf ewig strafen. Dies amüsierte den vermeintlichen Dichterfürsten so sehr, dass dieser immer wieder in schallendes Gelächter ausbrach, während er die Geschichte Wort für Wort niederschrieb. Letztlich erhielt sie den Titel „Göttliche Komödie“ und machte ihren Verfasser so reich, dass er seine verbliebene Lebenszeit betrunken verlebte.

Nun könnte man Dante kulturelle Aneignung vorwerfen – und damit hätte man sogar Recht. Man wird es ihm allerdings vergeben, so wie man Haydn vergeben hat. Auch Donna Maria Lucia wäre sicherlich stolz gewesen, wenn sie gewusst hätte, welch hohe Wellen ihre erbauliche und dem Kind Trost spendende Geschichte geschlagen hat – wäre sie nicht dem schmerzhaften Wundbrand an ihrem linken Bein erlegen. Ihre Leistung wird der gütige Gott sicherlich mit einem Platz im Vestibül der Hölle bedacht haben … im Gegensatz zur armen Giulia, die neben Haydn und Dante im achten Kreis der Hölle Platz gefunden hat. Amen!


Gezeichnet, Scherzherzog

PS: Happy birthday, Haydn!

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