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Von der Erinnerung an eine Sprache

An einem hellen Herbsttag steige ich den kleinen Hügel, auf dem das Haus meiner Großeltern steht, hinauf. 

Die Sonne steht hoch. 

Mittag. 

Mein Großvater, den ich immer schon mit oče anrede, was übersetzt eigentlich Vater heißt, in meiner Muttersprache aber Opa bedeutet, öffnet die Tür, an die ich nur pro forma anklopfe. 

Sie ist nie zugesperrt.

Jo, tua pa je to! ( Ja, wer ist denn da! ), als er mich und meinen tati, wie ich meinen Vater nenne, erblickt.

Wir antworten nicht. 

Wir lachen nur.

Er lacht auch.

Wenn der mir so die Tür öffnet, denke ich, dann geht es mir gut.

Ich sehe mir sein Gesicht an. 

Wie er seine Lippen während dem Lachen kurz aufeinander presst und sich räuspert, nur um dann gleich wieder breit zu lächeln.

Wir lassen die Schuhe an.

Gehen den Flur entlang.

Wie wir es immer tun.

Bis in die helle Küche.

So sind wir schon oft hintereinander hergegangen.

Jahrelang den Flur hin und her gewandert. 

In der Küche lässt er uns stehen.

Če pa je mati?, frage ich, was übersetzt so viel heißen soll, wie Wo ist die Mutter?, in meiner Muttersprache aber wo ist die Oma?, bedeutet.

Da ist er schon aus der Küche und im Garten unter dem Küchenfenster raschelt es. 

Mein Großvater, im Halbschatten der Äste, die auf seine braune Kappe zeichnen, was nur ich von oben sehen kann, ruft den Namen meiner mati ins Gebüsch.

Sie kommt mit kleinen Schritten aus dem Grün hervor.

Schöner als jede Blume, die da wächst.

Foto: Verena Gotthardt

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In der Küche sitzend.

Jeder vor seinem Teller mit Brot und Speck.

Während wir jausnen oder unsere mavžna essen, will ich mir jede kleine Geste einprägen.

Ich lasse sein Gesicht, wo es ist. 

Schaue zu seinen Armen, zu seinen Händen.

Wie er die Gabel am Tellerrand ablegt.

Wie er sein Glas auf dem Tisch abstützt.

Wie er die Brotscheibe in kleine Stücke zerteilt, bevor er sie zu seinem Mund führt.

Wie er mit dem Messer den Speck schneidet.

Wie er Salz auf seinen Teller streut.

Wie er sich mit seiner Hand an der einen Seite seines Stuhls festhält.

Wie er da in der Küche sitzt.

Neben dem großen Fenster.

Wie ihm meine mati schräg gegenübersitzend.

Die Hände vor dem Mund und zunickt.

Immer wieder einmal auflachend zu mir blickt.

Wie sie aus dem Fenster schaut.

Wie wir da in der Küche sitzend.

Uns Witze erzählen.

Wie der Teller steht am Tisch und wie die Gabel gelegt ist.

Einprägen, wie es ist.

An diesem hellen Herbsttag, wo alles ruhig zu sein scheint.

Geht vielleicht doch nicht alles verloren, wenn ich sorgsam das Essen dokumentiere.

Wo die Zeit sich noch dehnen lässt.

Oder vielleicht verstehe ich dann besser, wie es sein kann, dass etwas immer weniger wird.

Ob ein Laib Brot oder eine Sprache.

 Zur Erinnerung. 


Verena Gotthardt ist Kärntner Slowenische Lyrikerin und Schriftstellerin. Ihre Wurzeln hat sie im Gailtal. Mit ihren Großeltern und ihrer Familie spricht sie im Gailtaler Dialekt. Text und Fotos sind in NG4/2022 erschienen.

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