Nach dem Platzen der Koalitionsgespräche zwischen den zweit-, dritt- und viertgereihten – ÖVP, SPÖ und Neos – erwartet die österreichische Republik die erste blau-schwarze Regierung und eine solche unter Kanzler Herbert Kickl (FPÖ). Alle innenpolitischen Überlegungen überlassen wir an diese Stelle den Kommentator:innen und Politolog:innen und widmen uns den Minderheiten.
Minderheitenfragen werden in den Verhandlungen nicht an erster Stelle stehen – höchstens Fragen der autochthonen Volksgruppen. Dennoch, wer sich einmal das Parteiprogramm des neuen stärkeren Regierungspartners (in spe), der FPÖ, angesehen hat, wird auf einen verheißungsvollen Satz stoßen: „Sprache, Geschichte und Kultur Österreichs sind deutsch.“
In weiterer Folge steht, dass „unsere“ autochthonen Minderheiten eine Bereicherung und integrierter Bestandteils Österreichs und „unseres“ Staatsvolkes seien – was auch immer letzteres sein mag. Die FPÖ schreibt im Zusammenhang von Volksgruppen, dass sie eine „künstliche Gleichschaltung der vielfältigen europäischen Sprachen und Kulturen“ durch „erzwungenen Multikulturalismus, Globalisierung und Massenzuwanderung“ ablehne. Diese Argumentation ist praktisch und ermöglicht, dass man diskriminierte Gruppen bewusst dividiert in jene, die man duldet, und jene, die man nicht duldet. Das muss sich auch in allen Köpfen jener burgenländischen Kroat:innen abgespielt haben, die die FPÖ gewählt haben. Im blauen „deutschen“ Verständnis kann Burgenlandkroatisch nur ein Teil der „deutschen Geschichte“ sein, alles andere ist „künstliche Gleichstellung“.
Kaum Ansprechpartner übrig
Für die Koalitionsverhandlungen verheißt das nichts Gutes. Die FPÖ hat gewöhnlich keinen Sprecher für Volksgruppen. Und falls doch jemand an diese Stelle tritt, dann setzt sich diese Person in der Regel für deutsche Minderheiten in anderen Ländern ein. Mit dem Ausscheiden von Niki Berlakovich aus dem Parlament gibt es auch in der ÖVP keine ausgesprochenen Befürworter der Minderheitenrechte mehr. Vielleicht wird ihm der Burgenländer Christoph Zarits nachfolgen. Wer wird sich dann um ein kluges minderheitenpolitisches Programm kümmern, das dringend benötigt würde? Die in der schwarz-grünen Regierung für Volksgruppen zuständige Ministerin Susanne Raab verabschiedet sich ebenfalls aus der Politik.
Ein wenig solidarischer Volksgruppen-Trumpf
Nicht alle sind so pessimistisch. Einige Minderheitenvertreter sehen in einer solchen Koalition Möglichkeiten. Ihnen zufolge könnten die Volksgruppen als Prestigeprojekt inmitten von Diskriminierungsmaßnahmen gegen andere Gruppierungen profitieren. Man kann erwarten, dass die Volksgruppenvertreter, die Richtung ÖVP neigen, diese Karte spielen möchten. Aber auf wessen Rechnung? In Zeiten von ChatGPT vergessen die Leute schnell, welche Macht von Sprache ausgeht. „Österreich ist deutsch“, das ist nicht nur ein Slogan der FPÖ, sondern eine Umdeutung historischer Tatsachen und die Auslöschung der Geschichte eines großen Teils der österreichischen Bevölkerung.
70 Jahre nach dem Staatsvertrag stellt sich die Frage, in welche Richtung die Minderheitenpolitik gehen wird. Werden wir uns auf dieses Spiel einlassen, uns auf die Seite der „deutschen Geschichte“ stellen, uns als integrierten Teil betrachten, der nichts mit anderen Gruppen in Österreich zu tun hat, nur um am meisten von dieser Regierung zu profitieren? Oder werden wir eine andere Strategie anwenden und uns mit anderen Minderheiten solidarisch zeigen?
Za me je jasno: Moja povijest nije samo nimška.
Für mich ist klar: Meine Geschichte ist nicht nur deutsch.
Dieser Text von Theresa Grandits erschien zuerst in der kroatischen Wochenzeitung Hrvatske Novine.
Übersetzung: Konstantin Vlasich.
Titelfoto: Präsidentschaftskanzlei