Pojedini kamen nastaje mozaik

Ein einzelner (Geschichts-)Stein wird zum Mosaik

Am 26. und 27. Juni fand in der ehemaligen Synagoge im mittelburgenländischen Kobersdorf/Kobrštof das internationale Symposium “Dunkle Zeiten: Personen und ihre Handlungsspielräume während der NS-Zeit” statt. Passend zur Sonderausstellung “Dunkle Zeiten – von Tätern und Gerechten” auf Burg Schlaining soll das diesjährige Thema neue Impulse zu lokaler Geschichte und Nationalsozialismus geben. Die Veranstaltung wurde organisiert von der Burgenländischen Forschungsgesellschaft, in Kooperation mit dem Land Burgenland und beinhaltete Vorträge einiger renommierter lokaler und internationaler Forscher:innen zum Thema Nationalsozialismus.

Der erste Tag begann mit einer Eröffnungsrede von Landeshauptmann Hans Peter Doskozil, der leider nicht persönlich anwesend sein konnte. Die Vorträge dieses Tages beschäftigten sich ganz mit der Täterschaft im Nationalsozialismus, Endphasenverbrechen und Schlepper-und Schmugglernetzwerken. Besonders wirksam waren die Erzählungen vom allgemeinen Geschichtsverlauf im österreichischen Kontext, gemischt mit sehr spezifischen Beispielen von individuellen Lebensverläufen im NS-Regime. So wie Nikolaus Schorn, der als Baustreifenleiter am Bau des Südostwalls stationiert war und während seiner Leitung im Zwangsarbeitslager in Donnerskirchen unzählige Grausamkeiten zu verantworten hatte. Er wurde des Mordes angeklagt, doch nach einigen Jahren aus der Haft wieder entlassen.

Nacht-und-Nebel-Fluchtaktionen

Grenzregionen wie das Burgenland wurden, als die Lage im NS-Regime für verfolgte Minderheiten wie Jüd:innen immer brenzliger wurde, wichtige Zonen der geheimen Flucht und Grenzüberschreitung. Wer die Mittel hatte, versuchte anfangs nach Ungarn zu fliehen, später war dann der Weg umgekehrt. Es gab regen Schlepper-und Schmuggelverkehr in burgenländischen Dörfern. Der Historiker Michael Schreiber verfolgte in seinem Vortrag den Weg von geschleppten, meist jüdischen Personen aus Wien und beschäftigte sich mit den Netzwerken in seinem Heimatort Nikitsch/Filež. Das Gasthaus Mersich in Nikitsch/Filež war der erste Anhaltspunkt für die Fliehenden. 1942 flog dieses Schleppernetzwerk jedoch auf und die Akteure starben im Konzentrationslager. Aber wo Nachfrage, da auch Angebot: Es gab mehrere dieser Schleppernetzwerke, möglicherweise 10-15 im Burgenland allein. Wichtig ist auch anzumerken: um ein erfolgreiches Schleppernetzwerk zu bilden, “sind noch 30 Personen mehr im Hintergrund notwendig, die die Aktionen unterstützen und nicht auffliegen lassen”, erklärt Michael Schreiber. Natürlich bestand ein großes Risiko in jeder weiteren Person, die in die Aktion eingeweiht war. Dieses wurde aber eingegangen, um eine erfolgreiche Schlepperaktion zu ermöglichen.

Personen und Möglichkeiten des Widerstands

Der zweite Tag beschäftigte sich mit Widerstandformen gegen das NS-Regime. Wieder war die Mischung aus allgemeinen Informationen zum Thema und den Beiträgen zu individuellen Beispielen eine willkommene Abwechslung.

Dass man dem südburgenländischen Historiker und ehemaligen Leiter des DÖW Gerhard Baumgartner stundenlang zuhören kann, ist durchaus bekannt. Sein Vortrag, den Widerstand in Österreich in einer komprimierten Version darzustellen, pendelte gekonnt zwischen Unterhaltung und faktischer Trockenheit. Er erzählte davon, dass Historiker einst davon ausgingen, dass Widerstand gegen das NS-Regime in Österreich eine Randerscheinung und kein abendfüllendes Programm für einen Historiker wäre. Das sei vollkommen falsch. Baumgartner hat einst einen Aufsatz über die „unbeugsamen 100.000“ verfasst. 100.000 Meschen – entsprechend viele Karteien gebe es von der Gestapo – die für ihre Handlungen von der Gestapo verhört, gefoltert und im schlimmsten Fall deportiert worden sind.

Baumgartner zählte auch einige Widerständler aus dem Burgenland auf. Etwa Oliver Hacker, der sich als geflohener Jude aus Mattersburg 17-jährig sofort bei der britischen Armee gemeldet hat, um eingeschleust zu werden. Oder einen Protestbrief aus Redlschlag, wo sich Angehörige der Roma (rund um Joseph Horvath) über den von der NS-Diktatur eingesetzten Tobias Portschy beschweren und auf ihre bürgerlichen Rechte pochen. Nicht überall sind Widerstandsformen gut dokumentiert – etwa die Koralmpartisanen kenne kein Mensch, so Baumgartner. Die Zugehörigkeit zu Sprachgruppe sei laut Baumgarnter oft nicht Anstoß zu Widerstandsleistung gewesen (etwa die NSDAP in Oberwart/Felsöör war durchsetzt mit ethnischen Ungarn). „Die meisten, die im Widerstand gelandet sind, sind das durch eine Handlung geworden, deren Tragweite ihnen nicht bewusst war.“ Das sei laut Baumgartner keine Entscheidung gewesen: „Ich geh da jetzt hin und ergreife das Gewehr.“

Den österreichischen Umgang mit NS-Tätern in der Nachkriegszeit bezeichnete Baumgartner übrigens als eine Waschmaschine, die jedes Jahr zu Weihnachten verurteilte Kriegsverbrecher begnadigt habe (der Vorgang sei historisch außerdem völlig unerforscht).

Ein Highlight des Tages war Marco Laubners Vortrag zur in Klingenbach/Klimpuh geborenen Widerstandskämpferin Hanna Sturm, die ihr Leben dem Arbeitskampf aber auch dem Widerstand gegen den Faschismus gewidmet hatte. Die Zeit des Nationalsozialismus verbrachte Sturm kurz nach dem Anschluss bis wenige Tage vor Kriegsende durchgehend in Haft – zuletzt war sie Anführerin einer Reparaturkolonne im KZ Ravensbrück. 1984 verstarb Sturm in Zagreb. Ihr Leben hat sie in Buchform niedergeschrieben, doch die Wiederauflage ist bislang gescheitert – Laubners Diplomarbeit zu Hanna Sturms Widerstand ist online einsehbar. Nach den Vorträgen gab es noch eine Gedenkfeier an die jüdischen Gemeinden des Burgenlandes.

Lokalgeschichte im Augenschein

Die Programmauswahl verbindet breiter gefächerte Überblicke mit Vorträgen, die die lokalen, historischen Geschehnisse näher untersuchen. Michael Schreiber, einer der Organisator:innen des Symposiums, meint zur Gestaltung des Programms: “Die Regionalgeschichte des Burgenlands sollte neue Impulse von ausgewähltem Fachpersonal bekommen, um den Leuten vor Ort, die meist keinem Fachpublikum angehören, regionale Aspekte von Geschichte zu bieten.” In diesem Sinne decken Einzelbeispiele, wie der Menschenschmuggel in Deutsch Jahrndorf, dokumentiert von Roman Kriszt, nicht nur weitgehend unbekannte historische Abläufe auf, sondern setzen diese zu einem Gesamtbild aus Opfern, Täter:innen, Widerstandskämpfer:innen und Mitläufer:innen zusammen.

Es ist ungemein wichtig, dass Veranstaltungen dieser Art existieren und immer wieder an die NS-Verbrechen der Vergangenheit und an die Opfer erinnern. Besonders der Fokus auf die Lokalgeschichte des Burgenlands ist bedeutsam, um zu verstehen, dass “Geschichtsschreibung” aus individuellen Einzelschicksalen aufgebaut ist und diese ein vollkommeneres Mosaik ergeben.