Andere Volksgruppen schwärmen von den Sorb:innen als Vorzeigeminderheit. Vom DJ-Pult, über die Bühne, bis zur politischen Lobbyarbeit. Ein Blick in die Werkstätten und Köpfe sorbischer Minderheitenangehöriger – NOVI GLAS auf der Reise von Berlin über Kamenz nach Nebelschütz und Bautzen (Sachsen).
Sophia Ziesch als schwarzes Schaf zu bezeichnen, ja das sei sie gewöhnt. DJ, Rapperin und Filmemacherin Sophia bestellt in einem asiatischen Restaurant in Kamenz/Kamjenc, das sie noch aus Schulzeiten kennt, etwas mit Erdnusssauce. Im Aquarium sind Fische die stummen Beobachter der Szene. Als einzigen Gäste im Lokal können wir ungestört über sorbische Entwicklungen reden, ungestört aber nicht ganz stressfrei, weil Sophia gleich weiter muss zu einem Gespräch der Reihe “zurück in die Zukunft.”
Sophias feministisches Rap-kolektiw klanki (siehe Titelfoto) hat im Vorjahr seinen ersten Song publiziert und der hat für Furore gesorgt. Darin sezieren die jungen Frauen sorbische Traditionen wie die Osterreiter/križerjo, denen sie anschreiben, keine Orgasmen zu liefern oder einen Priester, der Corona ganz einfach mit Wein wegtrinken will.
Im Endeffekt machen Sophia und ihre Kolleginnen das, was Rap am besten kann – mit Punchlines wachrütteln und eine Generation musikalisch abholen, die sich mit den alten Riten weniger auseinandersetzt als es die großen sorbischen Institutionen gerne hätten. Aber alles nach der Reihe.
Mit Punchlines in die Zukunft
Kamenz als sorbisches Gebiet zu bezeichnen, ist gewagt. Wikipedia tut das, aber viel Sorbisches ist in dieser Kleinstadt nicht zu vernehmen. Es ist eigentlich überhaupt nicht viel zu vernehmen. Freitagabend und die Straßen sind leer, die Querdenkerkundgebung des frühen Abends hat sich schon aufgelöst. Nicht viel deutet darauf hin, dass Freitag ist.
Kamenz ist eine Kleinstadt, die um ihre Zukunft bangt. So ist sie Austragungsort eines Festivals, das in sechs Städten abgehalten wird, und aus Geldern des Strukturwandels neue Perspektiven schaffen will. Die wandelnde Struktur: Weg vom Kohleabbau, der ganze Dörfer abgetragen hat, hin zu? Ja, das wollte die Veranstaltung herausfinden.
Sophia webt aus Sounds ihres Mixers ein hörbares Bild, sie hat es bei der Anreise im Bus gebastelt, und rezitiert auf Sorbisch ein Gedicht einer Freundin darüber. Ihr Beitrag zur Gesprächsreihe soll zeigen, dass die Zukunft der Stadt auch einen sorbischen Teil beinhalten soll. Von den weiteren circa vierzig Gästen der Veranstaltung zeigt eine Person auf, als die Moderatorin (nicht Sophia) fragt, ob jemand sorbisch versteht. Kamenz ist ein Ort, der von allem verlassen scheint. Aber es hat auch leere Stätten, in denen sich Kunst breitmachen könnte, vielleicht für Menschen, die der Großstadt Berlin den Rücken kehren, der Großstadt, die zu einem Ort für Wohnungsspekulation verkommt und im Kreativbereich Tätigen die wenigen Euros aus der Börse zieht.
Musikalischer Tauchgang
Am nächsten Morgen geht die Reise genau dorthin, Berlin. Aber über einen kleinen Umweg in Sophias Heimatdorf und den Steinbruch/skała nebenan. Steinbruch ist eine untertriebene Bezeichnung. Es ist ein von der Gemeinde Nebelschütz/Njebjelčicy bestelltes Areal außerhalb der Ortschaft, auf dem über 15 Jahre angesammelte Skulpturen zu finden sind, mehrere Hütten mitsamt Steinofen, ein See mit absurd großen Karpfen. Im See kann man sogar tauchen. Aber nicht der Fische wegen. Ein paar der Statuen, die bei internationalen Bildhauerwerkstätten entstanden sind, wurden im Wasser versenkt. Atlantis liegt in Sorbistan.
Mitte August organisiert Sophia direkt dort ein kleines Open-Air-Festival, Meta Solis. Ähnlich ihrem Zugang bei der Musik, geht es auch hierbei darum, der sorbischen Jugend Zugänge zu bringen, die bislang in ihrem Umkreis fehlten. Es werden Techno-DJs auflegen, auch Sophia selber, eine Reihe von Workshops werden angeboten. “Sorbisch cool und sexy zu machen, das funktioniert nicht für alle in der Püppchentracht.” Um Förderungen von der sorbischen Stiftung haben sie für ihr Festival nicht angesucht, aber die Kulturstiftung des Freistaates Sachsen hat relativ unkompliziert zugesagt.
Obwohl das Festival low budget ist, zeigt sich die Gemeinde und der Bürgermeister engagiert. Es wurden extra schöne WC-Hütten aus Holz gebaut. Sophia erwartet 200-300 Leute, die bis in die Früh tanzen sollen. Bevor wir den Skulpturenpark verlassen, stellt sich Sophia neben ein angebrachtes zweisprachiges Schild, Aufschrift: Schütze und respektiere, was andere hier schufen. „Im Übrigen gilt das auch als Leitspruch für alles, was ich mache”, sagt sie. Ihre Kritik will nicht zerstörerisch sein.
Krowodn- oder Sorbenrock?
Damit Sophias geborgter, weißer VW-Van nicht nur Radiomusik und Fallzahlen ausspuckt, haben wir noch ein AUX-Kabel besorgt. Die restliche Fahrt bis Berlin wird Musik ausgetauscht, sorbische oder burgenlandkroatische Playlists rausgesucht. Berlinska Dróha , die Berliner Straße, und vor uns die Autobahn ebendorthin. Sorbenrock und Krowodnrock, allzu viel liegt da nicht dazwischen. Eine CD zu Weddings and Funerals gibt es auch. Vergleicht man aber Genres, sind die Sorb:innen einen Schritt voraus.
Der eine Hiphopper, den es gibt, heißt Lil Handrij. Sophia kritisiert, dass es bei all den männlichen Kollegen – die dominieren den sorbischen Musikmarkt – immer um die Liebe/lubosć geht. “Er hat irgendeinen gröberen Scheiß angestellt. Und jetzt ist er so arm und fleht danach, dass sie zurückkommt.”
Wir skippen die Playlists durch, Sophia singt ab und zu mit. Irgendwann bleibt mir nichts anderes übrig, als endlich kolektiw klank i aufzulegen, Sophias Kollektiv und deren Song Družki. Es ist die Bezeichnung für die Tracht der sorbisch-katholischen Brautjunger/Ehrenjungfer. Symbolisch stünde die Tracht für Jungfräulichkeit, Unschuld, prachtvolle Schönheit und das Unantastbare.
Sophia rappt die ganze Nummer hinterm Steuer mit. Neben dem Rappen versucht sie noch simultan zu übersetzen, aber es gelingt nicht, es ist einfach zu schnell. Über ein Jahr online, auf Youtube 12.000 Views, sehr viele Kommentare, nicht nur positive. “Bei einigen von klanki ist der Song zuhause ein Tabuthema. Darüber soll nicht geredet werden.”
Püppchentracht zum Mitrappen
Der Refrain geht so:
Ja sym serbska družka,
tam hdyž knjez mi dobry pastyr je,
jow je moja hrudź, ani Marija so njespjećuje.
Verstanden? Übersetzt heißt das:
Ich bin eine sorbische Družka,
Wo der Herr ein guter Schäfer ist,
Hier ist meine Brust, nicht einmal Maria lehnt sie ab.
Im Video – es könnte einfach nur ein Partysong aus Berlin sein – singt das Kollektiv am Skateplatz, sitzt rauchend in der Badewanne, füttert Schwäne mit Brot. Nichts Ungewöhnliches. Der Text aber geht in die Tiefe und ins Ohr – hier übersetzt:
Družki nach vor, wir sind ein unschuldiges Accessior, Für Jesus Körper. Für die neue sorbische Generation sind wir bereit alles zu opfern. Let‘s strip or put on the costume.
Auf Spotify sind klanki noch nicht – von der sorbischen Stiftung geförderte Projekte kommen wie von selbst auf die Plattform. Im Lied droppen kolektiw klanki, dass sie in Berlin seien – “and the domowina nothing has to say over here.” Erst die Distanz vervollständigt das Bild der Minderheit mit ihren großen Dachorganisationen.
Kolektiw klanki scheinen der Gegenentwurf zu sein, zu allem, was die Szene bislang zum Vorschein gebracht hat. Untertitel zum Video gibt es, aber nur englische. Sowie auch Sophias oder klankis instagram zweisprachig ist. Aber sorbisch-englisch statt sorbisch-deutsch.
Mühen des Widerstands
Anti zu sein, kostet viel Kraft. Ob Sophia das immer machen wird? Die Minderheitenszene würde sie immer beschäftigen, vielleicht werde es eine andere Ausprägung annehmen. Zu tun gebe es genug.
Sie bedauert eine künstliche exotisierende Trennung à la – „Schaut mal, das ist die Sorb:innenbühne, lass mal gucken, was die so können!“. Sorbische Bands bekommen bei Festivals eher eine eigene kleine Bühne statt vor größerem Publikum der Hauptbühne aufzutreten. Sie kann einen ziemlichen Rant darüber liefern, wenn Veranstalter:innen sie bitten, sie möge in Tracht kommen oder, wenn es am Festival sorbische Ornamente als Henna-Taatoos geben soll. Ihre Auseinandersetzung mit Minderheitenthemen ist tiefergehend.
Abends wird sie in Berlin auf einen Rave gehen. Drogen und Alkohol lehnt sie ab. Sie trinkt nicht. Den Likör im asiatischen Lokal in Kamenz lehnen wir beide ab. Da frage ich noch nicht genauer nach. Auf der Fahrt, den VW-Bus lenkend, meint sie, dass Alkohol zu viele Sorb:innen und deren Familien auf dem Gewissen habe. Es dürfte wohl klar sein, worum es in ihrem nächsten Song gehen wird.
MRÓČELE – Neuer Song von Klanki
Sorbische Playlist auf Spotify
Die kroatische Fassung des Artikels ist in NG4/2021 erschienen.
Titelfoto: Friederike Butter