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100 Jahre Staunen und ein heroisches Autsch

Manjine u izložbi. Ausstellungskommentar en large.

Die uralten Wände riechen nach frischer Farbe, während Landeshauptmann, Landesfürst, Bischof und Moderator:innen des Landes durch die Ausstellungsräume huschen. Man muss fast hoffen, dass sie mit ihren feinen Gewändern nirgends ankommen, wo dies doch abfärben könnte.

Jur sada legendarni govor Cari Cari-pjevača Alexandra Köcka. Ein bereits jetzt legendäres Intermezzo von Cari Cari.

Creativeclass hero und ein aufgekratzter Alfons

Wenn einem das Hundertjährige schon raushängt, ist es förderlich, wenn aus einem Luftschloss zum Jubiläum endlich eine begehbare Burg wird. Am Samstag lud das Land in die Friedensburg Schlaining zur Ausstellungseröffnung im Megaformat.

Das Who is Who des Landes war da, saß in der ersten Reihe. Und just, wo der Abend eigentlich ein harmonischer war – nicht nur musikalisch – kommt ein Zwischenstatement von Cari Cari-Sänger Alexander Köck, das sich gewaschen hat und diese erste Reihe wachrüttelt. Der Sänger kritisiert, dass seine Kolleg:innen ein paar Meter weiter im Orchester für diesen Abend und die Vorbereitungen eine Gage von 30 Euro bekommen. Alfons Haider, Moderator des Abends und selbst als Intendant in Mörbisch im Zwist mit einigen Künstler:innen dort, reagierte mehr als patschert auf das Ganze, statt es vielleicht einfach stehen zu lassen.

Landeshauptmann Doskozil – als einziger Redner hat er von den Musiker:innen ein Fanfare zum Aufmarsch bekommen – versprach dem Publikum, sich der Sache persönlich anzunehmen. Vielleicht könnte das dazu führen, dass sich das Land ein Fair-Pay-Modell für seine Künstler:innen überlegt. Zudem klingt es nach einer eigenen Recherche, wieweit es System hat, dass man in Albanien mehr Gage für einen Auftritt bekommt als hier (Erfahrungsberichte gerne vertraulich an redaktion(at)noviglas.online). Ich hoffe, das fürs Erste so stehen lassen zu können und zum Text weiterzukommen, der nach Samstag ausführlich entstanden ist. Einer über die Jubiläumsausstellung.

Ein Raum für Ikarus

Die uralten Wände riechen nach frischer Farbe, während Landeshauptmann, Landesfürst, Bischof, die Energieversorger und Moderator:innen des Landes durch die Ausstellungsräume huschen. Man muss fast hoffen, dass sie mit ihren feinen Gewändern nirgends ankommen, wo dies doch abfärben könnte.

Der Burgherr, der nicht so genannt werden will, Norbert Darabos, der Kurator und Professor, das Professor muss immer betont werden, Oliver Rathkolb, und der künstlerische Ausstellungsleiter Christof Cremer sind die nach außen sichtbaren Köpfe der Ausstellung zum Hundertjährigen. Der sympathische Deutsche Cremer – später im ORF-Livestream nennt er sich selbst Piefke – erklärt eloquent, ja durchdacht, was die Idee hinter den einzelnen Ausstellungsräumen (irgendwo habe ich die  Zahl 15 aufgeschnappt) ist.

Begrüßt wird die Journalist:innenschar in einem Raum, der um die burgenländische Sonne aufgebaut ist. Sie schimmert golden, sie ist imposant, wohl einer der Räume, die auf Instagram besonders gut ziehen werden. Wird nicht ganz günstig gewesen sein. Rund um die Sonne ist in bronzenen Tönen jede Ortschaft (oder Gemeinde?) des Burgenlandes verewigt. Tellergroße Ortsbilder auf bronzefarbenes Metall gedruckt, zweisprachig – wenn die dazugehörige Ortstafel es auch ist. Wäre man Schlagzeuger, wäre man versucht, mit seinen Schlägeln eine Runde auf den burgenländischen Dörfern zu klopfen. Keine Schlagzeuger unter den Anwesenden, schade. Aber die Musi spielt eh was Volksliedhaftes, klingt krowodisch.

Und zuletzt des Lichts begierig bist du Schmetterling… sve fotografije: K. Vlasich, citat: J.W.v. Goethe

Abgeschleckte Odyssee

Nächster Raum ist echten Burgenländer:innen gewidmet, die aus runden Fernsehkastln was erzählen aus einem Leben, einem burgenländischen: Beschreiben Objekte, Motocross-Handschuhe oder eine Schachtel als letztes Überbleibsel vom Krieg. Man würde ja gerne den Videos zuhören, aber wir – die Schar – sind zu laut.

Ein Mann im Rollstuhl kämpft mit einer Türschwelle, mit Schwung kommt er rüber. Bei schwül-heißem Wetter treibt es den Besucher:innen Schweißperlen auf die Stirn, kaum eine Maske verdeckt die Anstrengung, mit Geschichte infizieren wir uns gerne. Richtiger Zeitpunkt, um den Anschluss zu verlieren. Das Grüppchen um den Burgherren und die anderen Herren ist zweigeteilt in die Langsamen und ja, uns. Nach einigen Minuten Irrens trommelt uns ein (wichtiger?) Herr mit Schleckfrisur wieder zusammen. Denn so eine Burg ist groß und die Zeit knapp.

Profesor Rathkolb rado gestikulira ali i kuratira

Visitenkarten einer Zeitzeugin

Wir stoßen in die anderen Stockwerke vor. Da, wo die trüben Kapitel der Geschichte warten. Nein, sie sind nicht ausgeblendet. Ganz im Gegenteil. Die Opfer des Nationalsozialismus haben eine eigene Dunkelkammer mit projiziertem E-Book bekommen – blöd zu beschreiben, man gestikuliert und der Beamer reagiert dann hoffentlich.

Käthe Sasso, die 95-jährige Oberlegende ist auch Teil der Ausstellung und war als Zeitzeugin Ehrengast. Sasso hat das KZ und politische Verfolgung überlebt und ist eine der letzten Mahner:innen und Ermahner:innen des Landes. Und sie ist dabei so offenherzig und quirlig, hat ein Leuchten in den Augen, das man selten antrifft. Am Samstag sprach sie von einer Film-Dokumentation, für die sie Leute weitervermittelt und teilte Visitenkarten aus. Käthe, ich ruf dich nach dem Urlaub an, falls Du das liest.

Außen vor der NS-Dunkelkammer ist Raum für Landespolitik. Sowjetische Tretminen, der Rote Koffer des Landeshauptmanns Theodor Kery, politische Gesichter aller Farben, EU-Flagge, solche Dinge. Fast übergangslos haben sich die Opfer des Roma-Attentats einen eigenen, einen schlichten Raum verdient. Darin ausgestellt – zwar nicht neue – aber dennoch vier große schwarz auf weiß-Portraits der Ermordeten. Gezeichnet von Manfred Bockelmann, dessen Bruder niemand geringer als Udo Jürgens war. Bockelmann scheint in der Familie für die schwierigen Zeiten zuständig zu sein. Ja, das sind wohl die Räumlichkeiten, für die man Zeit hatte, denn so eine Burg, die ist groß, und die Zeit knapp.

Buntes Couchtischrücken

Ein Stock höher da geht’s dann um die Vielfalt. Die Vielfalt in der Küche, die Würze der Volksküche (Volksgruppen) und das Opium des Volks (Amen, Bekenntnisse usw.) und die Ersatzreligion (Kultur). Nein, ich zitiere an dieser Stelle niemanden, der bei der Ausstellung war.

Die Volksgruppen haben einen Vorraum und einen Raum, den sie sich mit den Religionen teilen. Irgendwo verständlich, waren die Jüd:innen doch beides. Es ist der Raum mit dem schönsten Licht (am Nachmittag). Bunte Tische erinnern leider an Ikeas Couchtische. Über ihnen schwebt ein Tischtuch mit verbrüdernden Buzzwords (Zusammenhalt, Shalom, Communio). Jo, eh nett. Die Tiefe, der drohende Sprachtod aller Minderheiten des Landes, ich wüsste nicht, wo das explizit gestanden wäre. Erklärung: Es könnte sein, dass bei der 150-jährigen Ausstellung ein Volksgruppenraum obsolet ist.

Die kroatische Wochenzeitung, das Mjenovski mjuzikl unter einer Vitrine – ein paar Elemente pro Volksgruppe. Wo sind die Trachten? Man hat sich nach ihnen umgefragt (weiß ich), aber sich wohl dann doch gegen deren Ausstellung entschieden (schließe ich). So eine Burg ist groß und die Zeit ja knapp. Im Volksgruppenvorraum spielen Tablets auf Wunsch ORF-Beiträge aus dem Archiv über die Volksgruppen. Warum selber Videos aufbereiten, wenn das eh schon wer gemacht hat?

Kuga-poslovodja Alex Karazman u sobi o manjina

Landes-Cuvée

Wer den Volksgruppenraum verlässt – kommt wo rein, wo grüne Flaschen die Wände säumen und eine Karte des Burgenlands uns nach Rebsorten aufteilt – lustig, unser Cuvée. Die Volksgruppen haben ihren Raum, der Wein seinen.

Christof Cremer – oder war es doch Rathkolbs burgenländischer Ausstellungsassistent, dessen Namen ich leider nicht notiert habe – erzählt etwas von der Steigerung des Anteils des Qualitätsweins, passend dazu ausgestelltes Geschirr: ein Teller mit Sinowatz-Karikatur daneben seines, des Freds, grünes Apfelmesser; ein Neckenmarkter Häferl, aus dem Leopold Figl Kaffee getrunken haben soll. Ästhetisch in Ordnung. Die Weinverkostung hat gefehlt. Max Stiegl, Gault-Millau Koch des Jahres, ganz-Tierverwerter in hellem Anzug und veganen Sneakers, hat ein paar der Rezepte für die Ausstellung aufbereitet. Man kann sich welche einstecken (habe darauf vergessen).

Der Witz war in etwa: Die grüne Landessprecherin Regina Petrik, die grüne Basis (im Hintergrund) und zwei Lachende.

Von der Trinkkultur zur eigentlichen

Kunst und Kultur. Des Burgherrn liebster Raum, sagt er. Bühnenbildner Cremer erläutert, das über uns seien Bühnenscheinwerfer, das Rot der Wand solle an den Bühnenvorhang erinnern. Zur Gänze kann ich diesen Raum nicht einordnen. Mir will’s partout nicht einfallen…woran erinnert mich all das Rot bloß? Hoffentlich ist die Farbe schon trocken. Einen beträchtlichen Teil der roten Wände säumen Plakate der landeseigenen Kulturbetriebe Burgenland, Mörbisch, Musical Güssing, Lisztzentrum und wie sie alle heißen. Archiv-Plakate der alternativen Kulturzentren (Cselley Mühle, Kuga, Oho) fehlen zur Gänze, den “alternativen Kulturzentren” hat man eine spartanische Ecke gewidmet – eigentlich ein Fernseher, der ORF-Beiträge spielt.

Darüber hinaus gibt’s eine kleine Aufteilung in Kunstgattungen, vermutlich hängt da auch ein Sepp Laubner mit Rotstrich herum. Auf dem Tisch in der Mitte etwas wie die Schätze eines burgenländischen Flohmarkts: Musikalben vom Ostbahn Kurti, Bruji (Nema problema!), Amadeus-Awards der Mayerin, eine schöne Ovation-Gitarre von Opus, Bücher literarischer Aushängeschilder, Cremers Outfitskizzen aus Mörbisch. Feilschen erwünscht! Nur heute, die Lackschuhe vom Haider im Sonderangebot, 30 Euro!

Irgendwo in dieser Burg – das körpereigene Navigationsgerät spinnt in der Hitze – gibt es dann noch einen schönen Raum, der vom Kommen und Gehen erzählt: Eine DDR-Bürgerin wollte über Ungarn mit einem selbstgemachten Taucheranzug den Neusiedlersee nach Österreich überqueren und musste deswegen ins Gefängnis – sie war Ehrengast des Abends später, ohne Schnorchel. Ihr Taucheranzug ist Ehrengast der Ausstellung. Und dann gibt’s in diesem migrierten Raum noch eine Vitrine. Darunter ein Foto von Hans Peter Doskozil als Polizeidirektor im Land und – da hab ich nicht schlecht gestaunt – das Regiebuch von Peter Wagners Stück zur Flüchtlingsträgodie bei Nickelsdorf „71 oder Der Fluch der Primzahl“.

Selten so nah beinand: Peter Wagner und Hans Peter Doskozil
Und das Ende der Geschicht – eine Conclusio braucht man (oder nicht)

Vielleicht sollte man als alternativer Volksgruppenvertreter nicht allzu böse sein: Man ist Teil des Burgenlandes, so wie man Teil dieser Ausstellung ist. Und wenn man zusammenzählt, dass im Sonnenraum kroatische Melodien erklingen, Bruji neben Opus aufliegen und aufspielen. Oder der kritischste (und aus den alternativen Kulturzentren stammende) Regisseur des Landes mit dem Landeshauptmann unter einer Vitrine steckt; der kritischste Sänger aus Protest dennoch auftritt, dann könnte man schließen mit: Man ist eh überall dabei, aber zusammenreimen muss man sich’s schon selbst.

Ein paar Räume, auf die man gesetzt hat, sind stark und ein paar sind so mittel – einer für die Wirtschaft mit vielen Pfeilen, die nach oben zeigen, zumindest debattierbar; einer für den Bildungsstandort des Burgenlandes wohl für Hans Niessl und seine ewige Predigt von der Maturant:innenquote; einer mit Trikot von Andreas Ivanschitz, aha. Ein Leiberl von Martin Pucher, Ex-Commerzialbank und Ex-SVM, fehlt. Zu früh? Zu jung, die Geschichte. Wir sind noch nicht drüber hinweg. Zur 150 Jahr Ausstellung dann.


Das burgenländische Geschichtsburgerl bietet mehr Gestaltungsfläche als das Haus der Geschichte in Wien. Nicht perfekt, geht aber auf. Endlich ein würdiges Museum fürs Heimatland (mit Österreich verbunden) und zum Staunen befähigt. Schauen Sie sich das an!

Dienstag bis Sonntag – 9 bis 18 Uhr, Friedensburg Schlaining

Können Sie Kolonovits dirigieren hören?

1 Comment

  1. Za Gradišće vrlo neobičan prikaz, povijesno-književno-kabertistički i provokantno-pregedledni konentar o ovoj izložbi i o mirovnoj tvrdjavi, ka si je zaslužila puno pohodnikov i pohodnic istao kao kako i članak Konstantina Vlašića čim već štiteljev i štiteljic

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