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Pišti geht

Pišti je prošao. Literarni oproštaj. Der letzte Rom von Großwarasdorf ist tot. Ein literarischer Abschied aus 2019.

Der letzte Rom von Großwarasdorf ist tot.
Das kann man nicht schreiben ohne weiterer
Erläuterung.

Pišti, mit bürgerlichem Namen Stefan Horvath, war Rom. Sein Selbstverständnis war das nicht. Denn, wenn er mit seiner Combo Musik spielte, dann sei das keine Roma-Musik, sondern Zigeunermusik gewesen, sagte Pišti. Sie spielten auf Anfrage – wie eine Jukebox. Hatten alle Klassiker drauf. Zigeuner, sagte Pišti – auch in der Kronen Zeitung. Ich habe ihn vor Jahren dafür kritisiert, weil er dadurch der Krone quasi die Vollmacht gab, mit dem Begriff  umzugehen, wie auch immer sie das wollte.

Pišti spielte Zymbal – oder Hackbrett. Was rabiater klingt, als es ist. Es ist ein hölzernes Trum, gleicht einem Sarg. Wenn man den Deckel runternimmt, verbirgt sich darunter eine Unzahl von Saiten. Es ist wie ein Klavier, aber weniger mechanisch. Man spielt die Saiten mit Schlägeln an oder zupft sie selber mit den Fingern. Ein Klavier ist für faule Musiker. Sein Zymbal, dieses hölzerne Trum, tourte mit Pišti über die ganze Welt. Sein letztes Jahr stand es bei einem Nobelheurigen im 19. Bezirk, wo es nicht bespielt wurde. Pišti kam hin. Ein letztes Mal. Verabschiedete er sich von dem Instrument, das ihm die Welt eröffnet hatte. Das sargähnliche Instrument wurde zurück nach Großwarasdorf gebracht. Es solle zurück in seine und Pištis Heimat. Pišti blieb noch ein paar Wochen in Wien. Dann wurde auch er in einer Holzkiste, die seinem Instrument glich, nach Großwarasdorf gebracht.

Pišti ist wieder zuhause. Verstummt. Sein Zymbal steht jetzt unmotiviert in der einstigen Volksschule herum. Die Volksschule hat sich in ein Kulturzentrum, die Kuga, verwandelt. Aber Teile des alten Schulgebäudes blieben das Gerüst des neuen, des Zymbals Käfig. In diesen alten Mauern wurde Pišti als Kind schikaniert. Von Mitschülern, von Lehrern.

Er ist als kleiner Bub nach Österreich gekommen. Die Eltern flüchteten 1956  – Ungarnaufstand! – aus Ungarn ins benachbarte Burgenland. Dort wuchs Pišti bei seinem Großvater »Bučki« – bürgerlich Stefan Hodosy – auf. Der vermachte ihm sein Zymbal und das Spiel darauf. Daheim im kleinen Häuslein konnte er richtig lernen, nicht wie in der Schule. Talent war in der Familie breit gestreut. Von Tutu, Pištis Onkel, geht das Gerücht um, er soll vorm Heurigen auf den Speichen umgefallener Fahrräder Melodien geklopft haben. Wie auf einem Zymbal.

Es gab nicht mehr viele Roma nach dem zweiten Weltkrieg. Langental, der kleinste Ortsteil der Gemeinde Großwarasdorf, soll in den 1930ern fast 200  Roma und Romni gezählt haben. Nach der Verschleppung und dem Morden kehrten eine oder zwei Handvoll zurück. Eine Folge war das Fortgehen. Weg in die Anonymität der Stadt. Da kann man auch öfter musizieren.

Pišti ging früh, arbeitete sich hoch. Erinnerungen einer grausigen Kindheit plagten ihn. Dennoch – er war ein Kind Großwarasdorfs, ein Kind aus Veliki Borištof. Das schätzte er vielleicht mehr denn je im Alter. Er vermachte das Zymbal der Gemeinde und dem Kulturzentrum. Er hätte es ja auch woandershin verkaufen können, sagte er. Aber dann würde es seine Bedeutung verlieren.

Darauf herumgehackt hat er vor großen Namen. André Heller hat ihn ins Projekt »Begnadete Körper« geholt. Mit großen Namen – meine ich – größte Namen. Vor Nasser, vor der belgischen Königin. Auch wenn sein Ruf nur noch Echo war, er schwärmte von sich in den alten Zeiten. In Ägypten – wo er viel verdiente und viel in den Casinos der gleichen Hotels wieder ausgab – auf den Höfen, vor reich, schön, mächtig.

Bei seinem letzten öffentlichen Termin beim Heurigen, unterhalb der Hohen Warte. Da hat er sein Fotoalbum dabei. Zeigt die Fotos, auch wo er später spielen sollte. In kleinen feinen Restaurants. Innere Stadt. Einer der drei Tenöre – welcher ist mir nicht ganz in Erinnerung geblieben – soll da mal vorbeigekommen sein, hatte sich von Pišti gewünscht – Carmen – oder was Anderes in die Richtung. Pišti verwandelte sich in einen kleinen Gott, die Saiten tun, was er ihnen flüstert. Wie von selbst. Es erklingt ein Meisterwerk. Wer braucht schon ein Orchester – da sind ja nur Dilletanten drin – ein Dirigent, Konzertmeister, erste Geige – alles in einer Person. Sitzt oder hüpft auf und spielt die letzten Noten der Lieder, die er schon so oft gespielt hat. Erstaunte Ohren aller Herren und Damen Länder lauschten dem Gott des Hackbretts. Was soll er in Großwarasdorf? Die Leute unterhalten, die ihn geschlagen haben? Die ihn verlacht und bespuckt haben? Er musste raus. Raus in die Welt. Oder zumindest in die Städte. Da, wo sich die Kultur breitmacht. Und irgendwo drin lauert auch mal das schnelle Geld. Und dann, wenn du fertig gespielt hast, kommt Placido Domingo, verbeugt sich vor dir, und legt dir 500  Euro in deinen Hut.

Meine Eltern waren auch in Wien, fürs Studium, fürs Arbeiten oder einer Mischung aus beidem. Einer ihrer studentischen Trips brachte sie nach Spanien und am Ende reichte natürlich das Geld nicht. Sie saßen hungrig im Zug, kratzten zusammen, was noch da war. Ein Streit entbrannte, ob es denn im Bordrestaurant am Zug ein Weckerl werden sollte oder ein Bier – weil das zählt ja als Flüssignahrung. Und wie ich mich erinnere, passierte dann das: Die armen Zwei zanken sich, wissen nicht wie weiter. Da steigt plötzlich jemand zu, mit einem Sarg oder etwas in dieser Dimension, ein Mann mit Schnauzer, gepflegt, und Hackbrett. Die Freude ist gewaltig. Er gibt den alten Wegbegleitern aus Großwarasdorf ein Essen aus. Und noch was für die Fahrt nach Hause. Er hat es geschafft. Er ist ausgezogen. Er ist von Welt. Die Welt will ihn spielen und herumtollen sehen. Pendeln im ganz großen Stil.

Pišti reitet die Erfolgswelle zu Ende. Sie ist nicht immerwährend. Nicht mal, wenn du einer der drei Tenöre bist. Pišti brauchte seine Stimme nicht so sehr wie sie. Er hatte seine Finger im Spiel und im Mund immer eine Zigarette. Selbst in schwerer Krankheit. Ohne Zigarette ginge es ihm nur schlechter. Für 69 sah er alt aus. Zu alt, um weiterspielen zu können. Zu alt, um weiterpendeln zu können. Irgendwann ertönt der letzte Ton und das Pendel kommt langsam zu stehen.


Pišti je došao kot mladi dičak u Austriju. Starji su pobignuli 1956. iz Madjarske i su došli k rodbini u Gradišće. Tote je Pišti kod svojega staroga oca, kod Bučkija odrasao. Darovao mu je cimbal i kazao, kako se na njem svira. Doma u malom staniću se je mogao dobro učiti, ne kot u školi, kade su ga šikanirali školari i učitelji.

Pišti Horvath (1949 in Bük geboren, 2019 in Wien verstorben) spielt das letzte Mal Zymbal. Ein unauffälliger Abschied beim Neustifter Nobelheurigen. Pištis Grab steht am Friedhof von Veliki Borištof. Dieser Text erschien 2019 in der Presse-Beilage InfoEuropa des Instituts für den Donauraum & Mitteleuropa.

Pišti Horvath und der Großwarasdorfer Bürgermeister Rudi Berlakovich

2 Comments

  1. Lip, jako lip odziv na poslidnjega Roma našega sela. Čer sam bio na Pištijevom grobu. Novo zasađene kitice…dokaz da nije postavljen.

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